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Keinmaerchen

Keinmaerchen

Titel: Keinmaerchen
Autoren: Simone Keil
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frage ich.
    Zu wenige, sagt er. Du trägst noch einen in deiner Hosentasche. Er gehört mir.
    Dir gehört der Staub, der sich in deinen Netzen sammelt. Die Albe gehören niemandem. Nicht einmal mir, auch wenn ich sie finde und herausschäle. Du bist niemand, sage ich. Niemand gehört nichts.
    Warum kommst du dann hier herunter?, sagt er. Immer wieder.
    Hier ist es dunkel, sage ich.
    Und das ist alles?, fragt er. Dunkel?
    Es riecht nach Staub, nach den Alben, die in seinen Netzen warten. Worauf? Warum? Sein Geruch überlagert alles. Aufdringlich, durchdringend, unverkennbar. In der Dunkelheit kann ich die Schatten nicht hören, sage ich.
    Aber sie sind da, sagt er. Trotzdem.
    Ja, das sind sie. Überall. Er muss es wissen, er kommt aus ihnen und wenn er geht, dann sicher hinein. Auf die andere Seite. Das Messer landet mit einem Klirren auf dem Boden. Mein Speichel schmeckt wie brackiges Wasser. Du bist nicht wirklich, sage ich. Du bist eine Projektion. Ein Schattenspiel.
    Kichert er? Er kichert. Dann lass uns spielen, sagt er. Was hast du zu verlieren? Ich bin nicht wirklich, wie du sagst. Ein Schattenspiel. Spiel mit mir!
    Was willst du?, frage ich. Zum hundertsten Mal, was willst du nur?
    Er krabbelt über meinen Bauch, meinen Hals, mitten durch mein Gesicht. Zupft an meiner Augenbinde. Nimm sie ab, sagt er.
    Meine Nase knirscht wie morsche Äste. Blut und Tränen versuchen mich zu ersticken.
    Du bist so dumm, sagt er. Ich hätte nicht gedacht, dass du so dumm bist. Glaubst du, du könntest mich erschlagen?
    Das Holzscheit kracht an die Wand. Doch er sitzt längst an einer anderen Stelle. Der Alb schreit. Ein hoher, spitzer Schrei, der sich mit einem Splitter in meine Hand bohrt. Ein anorganisches Knurren. Und Angst, die nicht von den Alben kommt. Das bin ich. Meine Angst, mein Knurren. Und dann Ruhe, unterlegt vom Wellenrauschen, das sich an den Wänden bricht und mich wie Gischt einnebelt. Sind sie schon hier? Die Schatten, sind sie hier?
    Sie sind immer schon hier gewesen, sagt er. Aber das weißt du doch.
    Ja, ich weiß. Deshalb decke ich die Lampe ab. Deshalb die Augenbinde. Manchmal vergesse ich es. Kein Licht, kein Schatten. Aber er ist trotzdem. Immer. Kommst du aus den Schatten?, frage ich. Und wohin gehst du, wenn du zwischen den leeren Dosen verschwindest?
    Du fragst zu viel, sagt er. Du stellst Fragen, die so unnütz sind wie diese Augenbinde. Aber du scheinst unnützen Dingen einen immensen Wert beizumessen. Nimm sie ab, sagt er. Nimm die Augenbinde ab, dann bringe ich dich weg. Weg von hier.
    Ich hasse ihn. Ich hasse ihn mit jedem Alb mehr. Mit jedem Schnitt des Messers, mit jedem Span, der in meinen Schoß fällt, mit jedem Seufzen des Albs, wenn ich ein weiteres Stück von ihm freilege.
    Gut so, sagt er. Mach deine Arbeit und mach sie gut. Dann kannst du es schaffen. Irgendwann.
    Irgendwann. Irgendwann hat sie gesagt, dass sie mich hasst. Nicht mit Worten, es stand in ihren Augen. In fetten neongelben Lettern. Das war das letzte Mal, dass ich eine Farbe gesehen habe. Ich brauche keine Farben. Hör auf mit dem Blödsinn, hat sie gesagt. Hör endlich auf damit und benimm dich normal.
    Lange geschwungene Hörner. Ziegenhörner und Katzenaugen. Sie sehen immer absonderlicher aus. Dieser wird besonders werden. Besonders abscheulich, besonders schön.
    Er wird gut, sagt er.
    Ja, er wird gut. Seine Hörner sind so scharf wie Pfeilspitzen. Und tödlich. Ganz sicher tödlich. Die Angst sitzt direkt in den Spitzen, gebündelt wie das Gift einer Königskobra.
    Lass das, sagt er.
    Ich lecke mein Blut von den Hörnern. Es schmeckt wie immer. Aber es riecht nach Alb. Nach Angst. Was interessiert dich das?, frage ich. Ich könnte mir sein Gift direkt in die Augen stechen. Und dann? Was würdest du dann tun?
    Dazu müsstest du die Augenbinde abnehmen, sagt er.
    Verdammter Mistkerl!
    Er lacht und die Dosen klappern. Nimm die Augenbinde ab, sagt er, oder mach deine Arbeit. Und stell die Albe ins Regal. Alle beide. Wenn du willst, dass ich auch morgen noch hier bin, dann tust du das!
    Morgen. Verfluchter Lügner. Du wirst hier sein, sage ich. Genau wie ich. Immer. Weil immer gestern ist.
    Gleich ruft sie nach mir. Und sie öffnet dazu nicht einmal mehr die Kellertür. Ich werde in die Küche gehen, zwischen den Gnomen hindurch zu meinem Platz. Er wird mich ansehen und sie wird die Lippen zusammenpressen. Ich werde nichts essen und sie wird heulen. Klack-klack werden die Diamanten auf die Fliesen fallen und die Gnome
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