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Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)

Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)

Titel: Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
Autoren: Ulrike Schweikert
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Prolog: Die Gefangene
    Es war dunkel. Isaura wusste das, dazu musste sie nicht die Augen öffnen. Auch wenn es draußen sicher längst Tag war, um sie herum herrschte tiefste Finsternis. Es war wie ein Albtraum, der ewig währte und der niemals enden würde. Sie hatte aufgehört, die Tage zu zählen, die Wochen, Monate, Jahre. Es war heiß hier drinnen, so stickig, dass jeder Atemzug schwerfiel, als habe sich die Luft in eine zähe, wabernde Masse verwandelt.
    Isaura ließ die Lider geschlossen und lauschte. Draußen war es still. Der morgendliche Gesang von Vögeln erklang nur in ihrer Erinnerung. Und auch der Klang schwerer Stiefel, die draußen vor der Tür auf und ab schritten, war nur ein Nachhall in ihrem Geist. Keine Schritte, keine Stimmen. Nur die Stille, die sie zusammen mit der Finsternis umschloss.
    Da rauschte kaum hörbar das Leinen, das auf der anderen Seite des Raumes zurückgeschlagen wurde. Das Bett knarzte, als sich der Körper darin aufrichtete. Es war Isaura, als könne sie sehen, wie die Frau sich erhob und in die Mitte des Zimmers trat. Jung und schön war sie in ihrer Erinnerung. Die Röcke des Gewands, seit Tagen nicht mehr abgelegt, raschelten. Nach einigen Schritten blieb sie stehen, den Blick auf den Teil der Schwärze gerichtet, in dem sich irgendwo die Tür verbergen musste.
    »Kann ich etwas für Euch tun?«, hörte Isaura ihre eigene Stimme, die seltsam fremd klang. Rau, alt und verbraucht.
    »Ich kann nichts hören«, flüsterte die andere. »Draußen ist niemand.«
    Sie trat mit schwankendem Schritt näher heran, sodass der Geruch des schon viel zu lange nicht mehr gewaschenen Körpers Isaura umhüllte. Der edel bestickte Stoff des nun schweißdurchtränkten Gewands strich an ihrem Bett entlang. Dann spürte sie eine Hand auf der ihren.
    »Öffne die Tür!«, hauchte die Stimme in der Schwärze, und die schmale Hand zitterte auf der ihren.
    »Ihr wisst, dass ich das nicht tun sollte«, gab Isaura ebenso leise zurück, dennoch erhob sie sich und ging, ohne auch nur zu zögern oder irgendwo anzustoßen, quer durch den Raum zur Tür. Das Rascheln des edlen Gewands folgte ihr. Isaura umfasste die Klinke mit beiden Händen. Noch immer waren ihre Augen geschlossen. Ganz langsam drückte sie die Klinke herunter und sah in ihrem Geist, wie sich ganz von selbst der Schlüssel drehte, der von außen im Schloss steckte. Und mit einem leisen Seufzen gab die Tür nach.
    Frische, kühle Luft umhüllte die beiden Frauen und strich liebkosend über ihre erhitzte Haut. Isaura konnte einen Laut der Erleichterung nicht unterdrücken. Sie trat zur Seite. Bodenlange Röcke streiften die ihren. Als der erste Lichtstrahl des Morgens die Gestalt erfasste, zerfloss das Bild der schönen jungen Frau mit ihrer reinen, weißen Haut, die die Finsternis gnädig in ihrer Erinnerung bewahrt hatte.
    Das helle Licht war ohne Gnade. Es traf eine alte Frau. Ihre Haut war schlaff geworden, das Haar farblos. Ihr Körper, der früher als elfengleich besungen worden war, konnte nur noch mager genannt werden. Und auch ihr Gang hatte sich verändert. Vorbei waren die Zeiten, da sie sich elegant im Tanz hätte drehen können. Das zunehmend schmerzende Hüftleiden machte ihren Gang eckig und schwerfällig. Doch am schlimmsten traf Isaura ihr Blick. Nichts war von dem Strahlen geblieben, von dem Lebensmut und dem Liebreiz. Nichts von dem kecken Funkeln oder dem weichen Schimmer, der so viele verzaubert hatte.
    Isaura sah eine gebrochene Frau den Gang entlanghumpeln, bis zur Balustrade, von der aus man die Weiten des Flusstales überblicken konnte. Das ungewohnt helle Licht ließ Isaura blinzeln. Mit etwas Abstand folgte sie der schwarz gekleideten Frau die Galerie entlang, bis sie stehen blieb, den Blick sehnsuchtsvoll auf das glitzernde Wasser gerichtet, und auf das saftig grüne Gras am Ufer. Die faltigen Hände umspannten das Geländer. Nur ihr Zittern verriet, was in Geist und Herz der stolz aufgerichteten Gestalt vor sich ging. Kein Laut der Klage kam über ihre Lippen, doch ihr allumfassender Schmerz umgab Isaura wie eine Wolke und trieb ihr Tränen in die Augen. Sie spürte, wie sich feuchte Bahnen über ihre Wangen zogen, über die kühl der Morgenwind strich.
    Ein durchdringendes Klingeln ließ sie hochschrecken. Isaura riss die Augen auf. Was war das? Wo war sie? Die Frau, das alte, düstere Gemäuer und der Fluss waren verschwunden. Isaura blinzelte. Verstört blickte sie sich um und versuchte zu begreifen, was sie
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