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Keinmaerchen

Keinmaerchen

Titel: Keinmaerchen
Autoren: Simone Keil
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kurzen Spasmen. Er ist so stark. Stärker als ich es war.
    Der Kaffee ist alle. Meine Gedanken sind träge. Meine Hände zittern, aber nicht vor Kälte. Ich kann meine Schrift kaum noch entziffern. Aber das ist nicht wichtig. Niemand wird diese Aufzeichnungen je lesen.

 
     
    5:15
    I'm changing trains
    This little town
    Let me down
    This foreign rain
    Brings me down
     
    (David Bowie: 5:15 The Angels Have Gone)

Erin
    Dumpfes Dröhnen. Steh auf, sagt sie. Das Frühstück ist fertig. Absatzgeklapper, Türenschließen. Sie hinterlässt Rühreigestank.
    Lügner. Verdammter Lügner! Ich kann nicht atmen. Die Bettdecke erdrückt mich. Sie hat sie mit Blei ausgegossen, damit ich mich nicht bewegen kann. Jede Wette, das hat sie. Und ich bin immer noch hier. Schon wieder.
    Der Fünfuhrfünfzehnzug. Ja, ich weiß. Aber dann müsste ich nach draußen, an den Rädern vorbei und den Strahlern. Durch die Wellen. Und ich müsste die Augenbinde abnehmen. Das kann ich nicht tun. Nie wieder.
    Erin?, fragt sie. Erin!
    Lass mich, sage ich und bin froh, dass die Decke so schwer ist, dass sie sie nicht wegziehen kann.
    Du wirst wieder zur Schule gehen, sagt sie. Morgen.
    Ja, sage ich. Morgen. Zur Schule oder ins Märchenland. Alles, was du willst. Morgen. Aber gestern gehört mir. Und heute ist gestern.
    Gnomengetrappel auf dem Laminatboden. Tripp-trapp-tripp-trapp. Sie atmet stoßweise. Vielleicht pinkeln sie ihr auf die Zehen. Meine Augenbinde ist verrutscht, aber er hat sie mir nicht genommen. Ich gehe ins Bad.
    Wasch dich, sagt sie. Großer Gott, wasch dich, bevor du zum Essen kommst.
    Der Spiegel zeigt verschwommene Schatten. Früher hätte ich ein Gesicht darin erkannt, aber das ist lange her. Wie viele Gestern hat es gegeben? Ich drehe den Wasserhahn auf und lausche dem Gluckern; zähle bis zehn und drehe ihn wieder zu. Ich werde nichts essen.
     
    #
    Du kommst früh heute, sagt er.
    Früh? Mein Lachen klingt hohl. Früher als gestern?
    Seit wann bist du solch ein Erbsenzähler?, fragt er. Ich hätte das Gespräch auch mit Guten Morgen beginnen können.
    Aber das wäre eine Lüge gewesen. Es riecht nach Rührei, selbst hier unten. Klebrig. Der Regalboden ist klebrig. Was hast du mit dem Alb gemacht?, frage ich. Was machst du nur mit ihnen?
    Er huscht an meiner Hand vorbei. Ein kurzes Streifen und ein Luftzug. Was machst du mit ihnen?, fragt er. Du benutzt sie, genau wie ich. Haben sie das verdient?
    Haben sie das? Ich weiß es nicht. Selbst wenn ich es wüsste, ich könnte es nicht ändern.
    Natürlich könntest du das, sagt er, und das weißt du genau.
    Das Holzstück fühlt sich richtig an. Oder falsch, was ebenso passend ist. Dieser wird keine Flügel haben, ich spüre keine, aber ich spüre ihn, direkt neben meinem Kopf. Geh weg, sage ich, lass mich in Ruhe arbeiten.
    Willst du das wirklich? Es knistert. Elektrostatische Entladungen.
    Wirst du mich irgendwann fortbringen? Irgendwann? Oder wird immer gestern sein?
    Du brauchst mich dazu nicht, sagt er.
    Der Fünfuhrfünfzehnzug, ich weiß. Also immer gestern, immer Albe. Immer er.
     
    #
    Der Alb wird gut. Mein bester bislang. Sein Atem brennt auf meiner Haut, jedes Mal wenn die Klinge ein Stück von ihm preisgibt. Er flüstert. Das Holz wehrt sich. Kein Wunder. Vielleicht sollte ich ihn anzünden, wenn er fertig ist, und zusehen, wie er sich in den Flammen windet.
    Das wirst du nicht tun, sagt er.
    Und warum nicht?
    Er atmet und klingt dabei wie sie. Du hast Angst, sage ich. Wovor hast du Angst?
    Hörst du?, fragt er ganz dicht an meinem Ohr. Hörst du die Wellen? Sie kommen näher. Er lacht.
    Du bist ein Arschloch, sage ich. Das Holz schreit, als ich eine tiefe Kerbe in den Hals schlage. Und der Alb schreit, als ich sein Genick breche.
    Er hält den Atem an und die Zeit macht einen Sprung nach vorne. Bremsfunken in meiner Brust. Quietschen in meinem Kopf. Eisen auf Eisen.
    Nimm die Hände von den Ohren, sagt er. Das nützt nichts. Du bist selbst schuld. Er wäre gut geworden. Dein bester. Dann werden sie dich eben abholen. Morgen.
    Meine Fingerknöchel knirschen. Splitter bohren sich heiß in meine Handfläche. Du weißt gar nichts, sage ich. Nichts!
    Ich weiß, sagt er. Und jetzt? Was machst du jetzt?
    Was interessiert dich das? Mein Blut schmeckt nach Eisenspänen. Die Splitter sitzen tief. Vielleicht gehe ich nach draußen, sage ich. Einfach raus. Keine Albe mehr. Wie fändest du das?
    Er huscht über meine Hand, bleibt in der Wunde hocken. Betrinkt sich am Schmerz. An
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