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Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)

Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)

Titel: Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
Autoren: Arne Dahl
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Autobahn
Magdeburg – Braunschweig, 2. Januar
    Sie ist direkt in das Licht gefahren. Es ist so hell, es blendet beinahe.
    Als sie ihre lange Reise von Berlin nach Brüssel antrat, war es noch Nacht. Dann fuhr sie in die Morgendämmerung hinein, und jetzt geht die magisch klare Wintersonne über der Stadt auf. Sie weiß, dass es Magdeburg ist. In der Ferne, links von der Autobahn, meint sie die Doppeltürme des gotischen Doms zu erkennen. Die Sonne steht direkt hinter ihren Spitzen, als würde das Licht aus den Türmen strahlen und sie wie einen Glorienschein umgeben. Unter der Autobahn schlängelt sich der Mittellandkanal in die Elbe – oder vielleicht ist es andersherum –, um nicht weit entfernt, aber außer Sichtweite, die größte Wasserstraßenkreuzung Europas zu bilden. Eine andere Kreuzung – die der Autobahnen A2 aus Berlin und A14 aus Leipzig – lässt sie nur wenige Kilometer später an die warnenden Worte des gestrigen Abends denken.
    Normalerweise fährt sie nicht Auto, schon gar nicht so weite Strecken, und wenn sie in letzter Zeit doch den Wagen nehmen musste, war sie immer gefahren worden. Aber heute nicht, heute herrschen besondere Umstände. Das letzte Schleudertraining hat sie mit zwanzig Jahren absolviert.
    Und es ist glatt dort draußen. Mehrmals hat sie gespürt, wie der Wagen die Bodenhaftung verlor – so ein Moment, wo diese hinterhältige, uralte Angst den Brustkorb zusammenzieht –, und sie hat auf der Fahrt das ein oder andere mit Reif bedeckte Autowrack gesehen, das die A2 säumte. Eher Pannen als Unfälle, dennoch durch das Glatteis verursacht. Allerdings hatte ihr Automechaniker felsenfest behauptet, dass ihre Winterreifen den höchsten Ansprüchen genügten.
    Es dürfte keinen Grund zur Sorge geben.
    Wenn nicht der gestrige Abend gewesen wäre. Silvester in Berlin war überstanden. Eine träge Mattigkeit hatte sich über den Neujahrstag gelegt. Ein neues Jahr, neue Erwartungen, genau genommen neue Möglichkeiten. Ein mildes nach innen gerichtetes Lächeln. Es war viel besser gelaufen, als sie es zu hoffen gewagt hatte. Ihr Gegenbesuch. Jetzt erschien ihr alles viel sinnvoller, viel hoffnungsvoller. Und dann diese unerwartete Warnung.
    »Deutschlands gefährlichste Autobahn.«
    Die beginnt gleich hinter der Bundeslandgrenze, oder? Direkt hinter der Grenze zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen –, und gerade als sie versucht, sich an die Städtenamen zu erinnern, passiert sie ahnungslos diese Grenze. Kurz dahinter taucht ein Autobahnschild mit Entfernungsangaben und Ortshinweisen auf. Sie erkennt zwei Namen wieder, Helmstedt und Peine. Das waren doch die beiden, oder?
    Ja. Natürlich, die vertraute Männerstimme sagte: »Die gefährlichste Autobahn Deutschlands ist die A2 zwischen Helmstedt und Peine.«
    Sie spürt, wie ihre Konzentration steigt. Bald hat sie Helmstedt erreicht. Zwischen Helmstedt und Peine liegt Braunschweig.
    Professionelles Wissen aus Brüssel, sie liebt es, den Überblick zu haben. Das hier ist die Hauptverbindung zwischen Ost- und Westeuropa, sie führt einmal quer durch Deutschland. Täglich passieren sie hundertzwanzigtausend Fahrzeuge. Schwertransporter aus Polen. Große Mengen von Abgasen, Treibhausgasen, von klimaverändernden Emissionen, deren Bedrohungspotenzial nur von der Anzahl der Verkehrsunfälle übertroffen wird. Es heißt, die Braunschweiger Autobahnpolizei sei die am meisten beschäftigte Verkehrspolizei Europas.
    Und jetzt auch noch Glatteis.
    Die Schönheit des Winters ändert mit einem Schlag ihr Gesicht. Auch die Sonne, die es geschafft hat, den Horizont zu erklimmen, verändert sich. Ihre Magie verdunkelt sich – wird schwarze Magie. Als sie an Helmstedt vorbeifährt, spürt sie einen dicken Klumpen im Hals.
    Sie ist noch nie gerne Autobahn gefahren. Diese seltsame Grenzenlosigkeit. Dass man gezwungen ist, häufiger in den Rückspiegel zu sehen als nach vorn. Dass man unentwegt auf Männer mittleren Alters gefasst sein muss, die sich selbst überschätzen und von hinten in ihren egotherapeutischen Schallgeschwindigkeitsblasen angerast kommen und sich mit Fernlicht an die Stoßstange hängen, weil man nur hundertsechzig fährt.
    Gut, man konnte nicht im Ernst behaupten, dass die französischen Autofahrer so viel besser waren. Allerdings wurden die kulturellen Unterschiede an keiner Stelle so deutlich sichtbar. Fühlte sie sich tatsächlich im rechtlosen Raum des Verkehrsdschungels von Paris wohler als in der aufgeräumten
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