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Kein Paar wie wir

Titel: Kein Paar wie wir
Autoren: Eberhard Rathgeb
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Dinge sind von guter Qualität, dachte sie. Die alten Dinge halten über den Tag hinaus. Sie haben mit uns durchgehalten.
    »Es funktioniert, obwohl es alt ist«, sagte Ruth.
    »Das Radio funktioniert, weil es alt ist«, sagte Vika.
    »Wir kauften es zur rechten Zeit.«
    »Wir kauften es 1967, in dem Jahr, als Che Guevara starb.«
    In New York hörten wir morgens und abends Radio, dachten sie. Morgens, wenn wir aufstanden und uns zurechtmachten, und abends, wenn wir gegessen hatten und auf dem Sofa saßen und uns von der Arbeit ausruhten. Wir hielten uns auf dem Laufenden. Wir wussten, was auf der Welt geschah. Der Kalte Krieg. Vietnam. Martin Luther King. John F. Kennedy. Die Mondlandung. Die Kubakrise. Was auf der Welt passierte, das ging uns etwas an. Wir waren Amerikaner.
    »Che Guevara sah gut aus«, sagte Ruth. »Er ist nicht alt geworden.«
    »Keine vierzig Jahre.«
    »Halb so alt wie wir, stell dir das vor.«
    »Wir passen eben besser auf uns auf«, sagte Vika. »Er wurde erschossen.«
    »Wir sahen uns vor«, sagte Ruth, »wir gingen nie in Gegenden, wo es für uns hätte gefährlich werden können. Auch in New York gab es Viertel, die wir mieden.«
    Was hätten wir in Harlem zu suchen gehabt, dachte sie.
    »Nie wurden wir überfallen und ausgeraubt«, sagte Vika.
    Weder in New York noch in Buenos Aires, weder in Rom noch in Barcelona, dachte sie.
    »Keiner traute sich an uns heran, weil wir immer zu zweit waren«, sagte Ruth.
    »In das Landhaus der Eltern wurde eingebrochen«, sagte Vika, » und die Diebe nahmen mit, was nicht niet- und nagelfest war, das Geschirr, die Teppiche, die Vorhänge. Die Polizei sagte, es bestünde wenig Aussicht, die Täter und die gestohlenen Dinge zu finden, wahrscheinlich seien es Kinder gewesen, Jugendliche, Drogenabhängige. Wir müssen einen neuen Zaun um das Grundstück ziehen lassen.«
    »Du kümmerst dich um alles«, sagte Ruth. »Ohne dich wäre ich verloren.«
    Kriminelle Banden, dachte sie. Abends werden die Armen aus den Vororten in die Innenstadt gebracht, auf Pritschenwagen, um das Altpapier zu sammeln. Früher hätte es so etwas nicht gegeben. Es geht mit dem Land bergab.
    »Möchtest du noch ein Toastbrot essen?«
    »Ja.«
    Ihre Blicke wanderten über den Tisch und an den Wänden entlang und blieben an den Bildern haften.
    »Tante Frida wäre eine gute Malerin geworden, wenn sie sich nicht erhängt hätte«, sagte Vika.
    »Sie hielt das Leben nicht mehr aus«, sagte Ruth.
    Die Nazis hätten sie ermordet, wenn sie sich nicht umgebracht hätte, dachte sie.
    »Sie hielt sich selbst nicht mehr aus«, sagte Vika. »Ein guter Christ bringt sich nicht um.«
    Mit uns wird es nicht dahin kommen, dachten sie, dass wir uns selbst eines Tages nicht mehr aushalten und uns umbringen. Wir ertrugen sogar die Eltern. Wir hielten bei ihnen durch, bis sie gestorben waren. Wer weiß, was er will, hält durch. Wenn wir uns umbringen wollten, würden wir einen Doppelselbstmord planen.
    »Die Mutter war in sich gekehrt, sie sah nur in sich selbst hinein«, sagte Ruth.
    »Sie war wie ein alter Brunnen, in den nie Licht fällt, dessen Grund man nicht sieht, aus dem man nicht wieder herauskommt, wenn man einmal hineingestürzt ist.«
    Die Kälte, die von dort unten aufstieg, dachte Vika. Sie konnte von Glück sagen, dass sie nicht in sich hineingefallen ist wie Tante Frida.
    »Die Eltern besaßen kein Herz«, sagte Ruth.
    »Sie hatten ein steinernes Herz.«
    »Ist das von Hauff?«, fragte Ruth.
    »Das Märchen von Hauff heißt › Das kalte Herz‹.«
    »Das las sie uns vor. Ich kann mich an das Märchen nicht erinnern, nur, dass sie vor unserem Bett saß und es uns vorlas.«
    »Täglich betete sie mit uns«, sagte Vika. »Jeden Abend das Vaterunser. Wir mussten uns auf den Boden knien und mit ihr beten. Im Flur hing ein Kreuz, über unseren Betten hing ein Kreuz und auch im Wohnzimmer. Überall hingen Kreuze und deutsche Wappen, von der Mutter gestickt. Hast du jemals auf ihrem Schoß gesessen?«
    »Nein«, sagte Ruth.
    Es ist unvorstellbar, dass wir aus ihrem Schoß gekommen sind, dachten sie, dass sie Kinder gebären konnte.
    »Ich hasste das Haus der Eltern«, sagte Vika.
    »Das Haus war ein Gefängnis«, bestätigte Ruth.
    »Man bekam darin keine Luft. Das Haus war für Tote gemacht. Eine Gruft.«
    »Wir verkauften es, kaum dass die Mutter gestorben war.«
    »Als wir das Appartement sahen, wussten wir sofort, dass wir es nehmen sollten«, sagte Vika.
    »Wir mussten nicht lange
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