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Kein Paar wie wir

Titel: Kein Paar wie wir
Autoren: Eberhard Rathgeb
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New York«, sagte Vika, »lasen wir die New York Times und Zeitschriften, manchmal ein wissenschaftliches Buch, aber wir lasen keine Romane. Was nützt es, Romane zu lesen? Romane sind etwas für verheiratete Frauen.«
    »Madame Bovary …«, sagte Ruth.
    Dass mir der Name einfällt, dachte sie.
    »Madame Bovary haben wir gelesen. Die Klassiker lasen wir. Aber nur die Klassiker. Nicht Romane von irgendwem.«
    »Anna Karenina …«, sagte Ruth.
    Dass mir der Name einfällt, dachte sie.
    »Haben wir gelesen.«
    »Sie ließen sich ihr Leben durch die Männer zerstören«, sagte Ruth.
    »Es ist dumm«, sagte Vika, » sich das Leben von ihnen zerstören zu lassen«.
    »Es ist idiotisch«, bestätigte Ruth.
    Madame Bovary, Anna Karenina, dass mir die Namen einfielen, dachte sie. Mir fällt doch sonst nie ein Name ein. Weder die Namen der Lebenden noch die Namen der Toten.
    »Wir sind ohne Männer ausgekommen. Ein Glück.«
    Uns hätte kein Mann bekommen, dachten sie. Wir hätten unser Leben nicht für Männer hingegeben. Schon wegen der Eltern nicht. Wir waren ihre Töchter, bis zu ihrem Tod. Frauen, aber vor allem Töchter. Schwestern, aber vor allem Töchter. Uns hätte kein Mann genommen, auch wenn wir es gewollt hätten. Wir waren nur im Doppelpack zu haben. Polygamie. Wie bei den Wilden.
    Sie lächelten müde. Es war spät.
    »Der arme … Wie hieß er doch gleich?«, fragte Ruth.
    »Wer? Meinst du Tolstoi?«
    »Der Mann von der Bovary.«
    »Der hieß Charles«, sagte Vika.
    »Ja?«
    »Charles, glaube mir.«
    »Du kannst dich an alles und jeden erinnern«, sagte Ruth.
    An die Namen der beiden Frauen konnte ich mich erinnern, dachte sie.
    »Ein Glück für uns, dass ich nichts vergesse«, sagte Vika. »Dass ich mir alle wichtigen Dinge behalte.«
    »Du kennst alle Telefonnummern …«
    »Von unserem Arzt, von unserem Anwalt, von …«
    »Eine Bekannte nach der anderen starb uns weg«, sagte Ruth.
    »Wir kannten nicht viele.«
    »Wir waren uns genug. Wo fanden wir schon Frauen wie uns. Fast alle waren verheiratet. Sie brachten immer ihre Männer mit. Dann saßen wir zusammen, drei Frauen und ein Mann. Der Hahn im Korb.«
    »Zum Schluss blieben nur wir übrig«, sagte Vika.
    Wir sind zwei alte einsame Tanten, dachten sie. Wir sind am Leben, aber wir sind aus der Zeit gefallen. Zwei alte Schildkröten in einem Terrarium, für die sich keiner interessiert.
    »Die Eltern sind alt geworden«, sagte Ruth.
    Als hätten sie uns mit ihrem hohen Alter bestrafen wollen, dachten sie. Als hätten sie uns zum Schluss noch eine Lehre erteilen wollen. Sieben Jahre lang pflegten wir sie. Wir wissen, was Aufopferung ist, wir haben die Demut kennengelernt.
    »Steinalt.«
    Sie schwiegen.
    Immerzu denken wir an die Eltern, obwohl wir nicht an sie denken möchten, dachten sie. Wir müssen uns gegen sie wehren. Wir müssen sie vertreiben wie Gespenster. Wüssten wir uns nicht über andere Dinge zu unterhalten, wir wären ihnen ausgeliefert. Dann säßen wir zu viert am Tisch und zu viert auf dem Sofa. Es gäbe für uns kein Entkommen.
    »Und der Charles brachte sich um?«, fragte Ruth.
    »Nein, die Emma brachte sich um.«
    »Ich dachte, auch der Charles hätte sich umgebracht.«
    »Die Emma nahm Gift«, sagte Vika.
    »Ich würde Schlaftabletten nehmen.«
    »Sie schluckte Arsen«, sagte Vika.
    Rattengift, dachte sie.
    »Grauenvoll.«
    »Qualvoll.«
    Ruth schüttelte sich.
    »Es ist dumm, sich wegen der Männer zu vergiften«, sagte Ruth.
    Kein Mann ist das wert, dachten sie. Auch keine Frau. Die Liebe zwischen den Männern und den Frauen wird völlig überschätzt. Sie bilden ein Paar und möchten glücklich sein und werden unglücklich. Sie versprechen sich gegenseitig hoch und heilig die Treue und betrügen sich bei der nächstbesten Gelegenheit. Sie möchten ein schönes Leben führen und bringen sich schließlich um, weil ihre Hoffnungen enttäuscht wurden. Sie halten an ihrer Ehe fest wegen der Kinder, aber wenn sie alt und hinfällig geworden sind, machen sie sich das Leben gegenseitig zur Hölle.
    »Uns kann das nicht passieren«, sagte Vika.
    Aus dem Alter sind wir heraus, dachten sie. In unserem Alter bringt man sich nicht mehr um. In unserem Alter sitzt man auf dem Sofa und erinnert sich an die schönen Tage.
    »Wir ließen die Finger von den Männern.«
    »Aber sie streckten die Hände nach dir aus.«
    Vika schmunzelte.
    »Nicht mit mir, meine Herren, sagte ich zu ihnen.«
    Sie schwiegen und hörten auf ihren Atem.
    »Er liest auch
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