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Kein Paar wie wir

Titel: Kein Paar wie wir
Autoren: Eberhard Rathgeb
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Lebens nicht, sie lassen sich nicht täuschen von den Schönheiten der Welt. Wir müssen uns in Geduld üben, meine Liebste. Wie oft ermahnten wir uns zur Geduld, als wir die Eltern pflegten. Wir ertrugen die Eltern, wir erduldeten sie, wir begleiteten sie in ihren Tod, und wir beerdigten sie. Ich habe dich zu Grabe getragen. Neben dir ist noch ein Platz für mich frei. Ich ließ einen Stein setzen, groß genug für zwei Namen. Ich stand an deinem Grab, das auch mein Grab sein wird. Wir werden in unseren Särgen nebeneinanderliegen, so wie wir nachts in unseren Betten nebeneinanderlagen. Wir werden wieder zusammenkommen. Der Tod kann uns nicht auf Dauer trennen. Wir haben unser ganzes Leben zusammen verbracht, warum sollten wir nicht nach dem Leben wieder zueinanderfinden. An jenem Abend saßen wir wie gewohnt auf dem Sofa und hörten Musik, und keine von uns ahnte, dass es unser letzter gemeinsamer Abend sein würde. Du warst wie immer, weder traurig noch müde noch krank. Wir lachten sogar. Du hattest Witz, Humor, eine spitze Zunge, einen scharfen Verstand. Keiner konnte dir etwas vormachen. Du warst klein und schmächtig, aber zäh wie Leder. Du hättest von uns beiden diejenige sein müssen, die länger lebt. Du hast für uns beide alle Besorgungen erledigt, du hast jeden Tag das Essen aus dem Café geholt, du bist einkaufen gegangen, zum Anwalt und zur Bank, während ich im Wohnzimmer auf und ab lief und auf deine Rückkehr wartete. Ich mochte nie allein sein. Seitdem du nicht mehr bei mir bist, mag ich keine Musik hören. In meinem Zimmer steht ein Radio, aber ich schalte es nicht an, nicht einmal um Nachrichten zu hören. Ich möchte nicht wissen, was auf der Welt passiert. Es muss still um mich herum sein, nur dann bist du mir ganz nahe. Ich sitze auf einem Stuhl am Fenster, und du sitzt auf einem Sessel mir gegenüber, so wie wir uns beim Essen gegenübersaßen, und wir reden von früher, wie es war, unser Leben, wir erzählen uns noch einmal die Geschichten, an die du dich immer besser erinnern konntest als ich. Möchtest du noch ein Toastbrot haben, hast du mich jeden Morgen beim Frühstück gefragt, und ich nahm aus dem Korb, den du mir reichtest, die letzte Scheibe Brot. Den ganzen Tag verbrachten wir zusammen, und die Tage gingen dahin, und ein Tag glich dem anderen. Nie war uns langweilig, wie mir auch jetzt nicht langweilig ist, solange du bei mir bist und ich mit dir reden kann. An jenem letzten Abend gingen wir nicht später als sonst ins Bett, und wir schliefen rasch ein. Immer sind wir am nächsten Tag zur selben Zeit aufgewacht, als hätte uns eine innere Stimme geweckt. Nur an diesem Morgen war es anders.

20
    Kein Morgen, an dem sie sich nicht einen guten Morgen, keine Nacht, in der sie sich nicht eine gute Nacht gewünscht hatten. Die kleinen Regeln, die sie blind befolgten, gaben ihnen Halt, sie bildeten ein Gerüst für ihr tägliches Leben, in dem für sie alles bedeutsam war und Stoff für Gespräche bot. Sie nahmen eine Tasse in die Hand, öffneten ein Regal, schüttelten ein Kissen aus, zogen ein Kleid an, und schon lagen ihnen die Wörter auf der Zunge und schlossen sich zu endlosen Kommentaren zusammen. Dabei hätten sie nie vieler Worte bedurft, um einander zu erklären, was sie meinten. Ein Wort von Ruth, und Vika ahnte, was Ruth ihr erzählen würde. Ein Wort von Vika, und Ruth hatte verstanden, was Vika ihr sagen wollte. Aus den Erinnerungen und Erläuterungen drehten sie einen Faden, mit dem sie sich wie in einen Kokon einspannen. Solange die Aufmerksamkeit, die sie füreinander hegten, nicht nachließ, konnte dieser lebenswichtige Faden nicht reißen. Die Tauben im Innenhof schienen von dem schwesterlichen Pakt etwas zu wissen, denn gurrend wiederholten sie ohne Unterlass: »Don’t break the rule, don’t break the rule.«
    »Früher gingen wir oft ins Theater und in die Oper«, begann Ruth.
    »Jede Woche ein oder zwei Mal. Jetzt sitzen wir abends auf dem Sofa und hören Radio.«
    »Wir gehen zuhause ins Konzert.«
    »Oder in die Oper.«
    »Es ist für uns viel bequemer«, sagte Ruth.
    Wir werden nicht mehr zusammen in die Oper oder ins Konzert gehen, dachte sie. Ich werde das Appartement nicht verlassen. Ich werde von der Welt nichts mehr sehen. Mir bleiben nur die kleinen Dinge. Ein Teller, eine Gabel, ein Tisch, ein Stuhl, ein Fenster, Wärme und Kälte, die Erinnerungen. Und Vika. Ohne sie wäre alles nichts.
    »Das Radio hat eine gute Qualität«, sagte Vika.
    Die alten
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