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Kein Paar wie wir

Titel: Kein Paar wie wir
Autoren: Eberhard Rathgeb
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überlegen. Wir sahen das Appartement und sagten, das oder keines.«
    Wie bei einem schönen Kleid, dachte Ruth. Das oder keines. So muss es sein. Gute Dinge erkennt man auf den ersten Blick. Dinge, die zu einem passen. Man nimmt sie, ohne zu zögern.
    »Das Appartement ist wie für uns geschaffen«, sagte Vika. »Es liegt in einem guten Viertel. In unserer Nähe sind alle Geschäfte, die wir brauchen.«
    Was brauchen wir in unserem Alter noch, dachte sie. Einen Supermarkt, einen Friseur, ein Café. Die Bank liegt weiter weg. Aber wir müssen nicht oft zur Bank gehen. Und zu den Ärzten fahren wir mit dem Taxi.
    »Wir hätten kein besseres Appartement finden, uns kein besseres Appartement wünschen können«, sagte Ruth.
    Es passt uns wie angegossen, dachte sie. Ein gutes Kleid sitzt perfekt. Ob ein Schuh gut ist, spürt man sofort, wenn man seinen Fuß hineinsteckt.
    »Und es wohnen anständige Leute im Haus«, sagte Vika.
    Millionäre, dachte sie. Wir sind im Alter unter die Millionäre geraten. Das haben wir dem Dollar, das haben wir New York zu verdanken. Die Politiker machen das Land kaputt, es herrscht Inflation, aber wir haben glücklicherweise unsere Dollars, unsere amerikanischen Pensionen. Der Dollar ist unsere Rettung.
    »Es war das erste Appartement, das wir uns ansahen«, sagte Ruth, »und sofort war uns klar, dass wir es nehmen sollten. Wir mussten darüber nicht miteinander reden. Wir schauten uns an und nickten uns zu, und die Entscheidung war gefallen. Die wichtigen Entscheidungen haben wir immer einstimmig getroffen.«
    »Und wir bezahlten das Appartement auf einen Schlag«, sagte Vika. »Bloß keine Schulden machen, sagten wir uns. Wir besaßen das nötige Geld.«
    Wir hatten gespart, dachten sie. Die ganzen Jahre in New York legten wir Geld zurück. Wir hatten keine großen Zukunftspläne, wir dachten nicht an unser Alter. Wir waren genügsam. Das Geld auf der Bank gab uns ein Gefühl der Sicherheit, es gab uns die Freiheit, zu reisen, wohin wir reisen wollten. Wir schliefen in den besten Hotels. Wenn wir verreisten, ließen wir es uns gut gehen, wir machten keine Kompromisse. Gute Dinge sind teuer. Man darf sich nicht mit billigen Dingen abspeisen lassen. Man muss auf sich achtgeben.
    »Vater sagte, man solle keine Schulden machen«, sagte Ruth. »Wer Schulden mache, der lebe über seine Verhältnisse. Er war sparsam.«
    »Ein Pfennigfuchser war er«, sagte Vika. »Aber er brachte es zu Geld.«
    »Er war fleißig«, sagte Ruth. »Er wusste, was er wollte. Jeden Abend saß er über seinen Büchern und studierte den Brückenbau. Andere ruhten sich von der Arbeit aus oder gingen zu Freunden oder kümmerten sich um ihre Familie, aber er saß in seinem Arbeitszimmer.«
    Dass ein Mensch so viel über Brückenbau lesen kann, dachte sie. Er war pflichtbewusst. Er erfüllte seine Aufgaben. Das Leben ist Pflicht, sagte er.
    »Da konnte kommen, was wollte, er ließ sich in seiner Arbeit nicht beirren. Er brauche Ruhe, sagte er. Er baue schließlich Brücken.«
    »Er meinte, keinem Menschen etwas zu schulden«, sagte Ruth.
    Wir stehen in keines Menschen Schuld, dachten sie. Wir haben uns nichts vorzuwerfen. Wir haben unsere Pflichten erfüllt.
    »Es ist besser, wenn man niemandem etwas schuldet«, sagte Vika. »Schulden machen abhängig.«
    Wir schuldeten den Eltern Gehorsam, dachten sie. Wir waren ihnen gute Töchter bis in den Tod. Erst ihr Tod erlöste uns aus der Schuld. Jetzt sind wir frei.
    Sie schwiegen. Der letzte Satz hatte ihnen die Sprache verschlagen. Sie wussten nur zu gut, dass das Alter ihnen die Freiheit geraubt hatte, zu tun und zu lassen, was sie wollten, dass sie nicht mehr die körperliche und die seelische Kraft besaßen, sich ihre Wünsche zu erfüllen. Sie sehnten sich zwar danach, durch die Welt zu reisen, aber dieses Verlangen war nur ein schwacher Reflex aus besseren Zeiten, als sie einfach ihre Koffer packen und zum Flughafen fahren konnten. Die Erinnerung an das Glück des Wünschens bewahrten sie wie ein Lebenselixier.
    »Wir können uns nicht beschweren«, begann Ruth erneut.
    »Wir sind gesund. Wir haben die besten Ärzte von Buenos Aires und einen fabelhaften Anwalt.«
    »Er spricht perfekt Englisch«, sagte Ruth.
    »Perfekt.«
    »Auf seinem Nachttisch liegen immer mehrere Bücher.«
    »Das hat er mir erzählt«, sagte Vika.
    »Er liest mehrere Bücher gleichzeitig«, sagte Ruth.
    »Geschichte und Philosophie. Keine Romane.«
    »Ah non.«
    Ruth winkte mit der Hand ab.
    »In
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