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Kein Leben ohne Hund

Kein Leben ohne Hund

Titel: Kein Leben ohne Hund
Autoren: Koerzdoerfer Norbert
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Ernährungsplan steht, desto länger lebt Ruby. Also ist Schonkostdiät angesagt. Ruby ist süchtig nach Mais, Erbsen und Kartoffelbrei. Ruby riecht unser Haus. Düfte sind ihr Blindenstock. In ihrem Köpfchen ist eine Geruchsbibliothek gespeichert – auf ewig.
    Sie sieht mich nicht – sie fühlt mich. Mehr geht nicht.
    Alzheimer? Kranke Ruby reitet in ihren Sonnenuntergang
    Ruby ist krank. Ruby ist 16 – menschlich geschätzte 100 Jahre. Äußerlich ist sie ein Engel. Innerlich reitet sie mit ihrem kleinen Hirn in den letzten Sonnenuntergang.
    Ruby ist dement. Ruby hat Alzheimer.
    Wenn ich sie morgens um fünf Uhr streichle, blickt sie mich an wie Ronald Reagan. Wenn wir abends in der glühend untergehenden Sonne in den Park vor unserer Villa gehen, scheint sie glücklich. Aber wenn ich sie anspreche, sieht sie mich nicht, hört mich nicht und findet unser Haus nicht mehr.
    Ruby ist ohne Leine aufgewachsen.
    Sie fuhr Porsche, Land Rover und Fahrrad.
    Sie ist ein Freund von Altkanzler Helmut Kohl.
    Das Ende des Lebens kriecht durch die Füße. Der Tod klopft an den Pfoten an.
    Die Stufen zu unserem Haus sind wie eine Kathedrale.
    Ruby hat in ihrem kleinen Hirn das größte Gedächtnis des Erlebten.
    Sie riecht, sie spürt uns, sie sucht das Zuhause.
    Sie spürt die Wolken des Todes.
    Aber ich lasse sie nicht sterben.
    Einschläfern? Wir haben Ruby ins Leben zurückgegrillt!
    Ruby blickt in ihren Abgrund. Das verbotene Wort »einschläfern« kriecht in unser Haus. Rubys Diagnose: Taub. Zu 90 Prozent erblindet. Gedächtnisschwund, sprich dement. Rubys Leibarzt Dr. Fabian von Manteuffel: »Ruby wird wieder zum Kind. Ihr Hirnchen erlebt nach, was sie früher erlebt hat. Aber sie hat keine Schmerzen.«
    Sie bekommt Medikamente fürs Doppelherzchen und Köpfchen.
    Darf man einen Hund in den Himmel spritzen, der uns, sein Rudel, jahrelang mehr geliebt hat als sich selbst? Rudel-Ratssitzung mit dem neuen Garten-Grill. Die Sonne streichelt. Die Würstchen duften.
    Plötzlich werden wir mampfende Zeugen eines Wunders. Die Wiederauferstehung der totgeschriebenen Ruby.
    Aus der dunklen Höhle unseres Hauses hinkt ein Schatten auf vier Pfötchen: Ruby schnüffelt mit ihrem Näschen im würzigen Wind. Ihr rechtes (Blinden-)Pfötchen tastet sich die Holztreppe zum Garten hinunter. Sie nähert sich den glühenden Kohlen. Ich reiche ihr ein Würstchen. Sie beißt, sie grinst. Wir haben Ruby ins Leben zurückgegrillt!
    Ruby, den Sommer, den schaffen wir noch. Wau?
    Ruby darf nicht sterben!
    Ach, Sonne, unsere Herzen glühen. Auch Rubys. Sie kringelt sich wie ein Würstchen in ihr Körbchen im Schatten. Sie guckt mich mit ihren schalen, blauen, blinden Äuglein an. Ruby ist glücklich. Ich spüre das durch ihre harmonische Körpersprache, die ich seit Jahren entschlüssele. Ruby spricht eben nicht viel.
    Unser Fensterputzer ist ein fröhlicher Mensch und liebt Ruby. Ich stehe in der Küche und er schimpft mich aus: »Also, Sie können so was doch nicht schreiben. Ihre letzte Kolumne war so traurig und Ruby geht es doch gut.« Ruby hört zu, blickt auf, schmunzelt und scheint zu nicken – obwohl sie ja nichts mehr hört.
    Die Hunde-Republik ist erschüttert! Ruby-Fans schreiben Amok – gegen das Einschläfern: »Ruby darf nicht sterben!« E-Mails, die rühren: »Lassen Sie Ihre Ruby nicht einschläfern! Meine Ruby heißt Tao und ist auch alt und wird immer mehr zum Kleinkind.«
    Das Leben ist der Kampf gegen die Angst vor der Wahrheit.
    Wahrheit 1: Ruby ist 16, also circa 100. Ruby fand gestern unser Haus nicht mehr. Sie ist dement.
    Wahrheit 2: Ruby hat schlechte und gute Tage. Wenn wir grillen, lebt sie: Ihr Näschen ist ihr Herz. Wenn sie auf den Stufen ausrutscht, purzelt und sich übergibt und mich nicht mehr erkennt, weine ich.
    Wahrheit 3: Nicht ich, sondern der Rudelrat wird die Erlösung beschließen. Dann, wenn das Leid das Leben zum Schmerz macht.
    Das Schöne am Schlimmen?
    Jeder Tag ist ein Geschenk. Jeder Tag ist ein kleines Ruby-Leben. Jeden Tag wird uns bewusst, was wir haben und was wir verlieren werden. Ruby und ihr Rudel denken nicht an morgen. Wir grillen heute, wir trinken heute. Wir leben und lachen heute!
    Gibt es ein Leben ohne Hund?
    Wer sich von seinem Hund trennt, amputiert eine Herzkammer. Ich streichle Ruby. Sie guckt uns nach aus dem Schatten des Hauses. Wir schließen die Tür. Wir fahren schnell weg, weit. Wir schweigen. Im Auto fehlen vier Pfoten. Blitz-Ferien auf Sylt – ohne Ruby. Zu viel Stress.
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