Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der letzte Wunsch

Der letzte Wunsch

Titel: Der letzte Wunsch
Autoren: Andrzej Sapkowski
Vom Netzwerk:
Die Stimme der Vernunft 1
    Sie trat sehr vorsichtig ins Zimmer, leise, mit lautlosen Schritten, schwebte durchs Zimmer wie ein Gespenst, wie eine Erscheinung. Und den einzigen Laut, der ihre Bewegung begleitete, erzeugte der Umhang, der sich an der nackten Haut rieb. Doch gerade dieses winzige, kaum hörbare Rascheln war es, das den Hexer weckte oder vielleicht auch nur aus dem Halbschlaf riss, in dem er sich monoton wiegte wie in einer bodenlosen Tiefe, in der Schwebe zwischen dem Grunde und der Oberfläche einer ruhigen See, inmitten sacht wogender Stränge von Tang.
    Er bewegte sich nicht, zuckte nicht einmal. Das Mädchen flatterte näher heran, warf den Umhang ab und stellte langsam, zögernd das gekrümmte Knie auf den Rand des Bettes. Er betrachtete sie zwischen gesenkten Wimpern hindurch und verriet noch immer nicht, dass er nicht schlief. Das Mädchen legte sich vorsichtig auf das Lager, auf ihn, und umschlang ihn mit den Schenkeln. Auf die ausgestreckten Arme gestützt, strich sie ihm mit den nach Kamille duftenden Haaren übers Gesicht. Entschlossen und anscheinend ungeduldig beugte sie sich herab, berührte mit der Spitze einer Brust seine Lider, die Wangen, die Lippen. Er lächelte und fasste sie um die Schultern, mit einer sehr langsamen Bewegung, vorsichtig, behutsam. Sie streckte sich und wich seinen Fingern aus, strahlend, erleuchtet, von ihrem eigenen Lichtschein in der nebligen Helle der Morgendämmerung verschwommen. Er bewegte sich, doch mit dem festen Druck beider Handflächen verwehrte sie ihm, seine Stellung zu verändern, und forderte mit leichten, doch entschiedenen Bewegungen der Hüften eine Antwort.
    Er antwortete. Nun wich sie nicht mehr vor seinen Händen zurück, sie warf den Kopf und die Haare nach hinten. Ihre Haut war kühl und erstaunlich glatt. Die Augen, die er sah, als sie ihr Gesicht seinem näherte, waren groß und dunkel wie die Augen einer Nixe.
    Hin und her gewiegt versank er im Meer von Kamille, das zu wogen und zu rauschen begann, ruhelos geworden.
     

Der Hexer
I
    Später hieß es, der Mann sei aus dem Norden vom Seilertor her gekommen. Er ging zu Fuß und führte das aufgezäumte Pferd am Zügel. Es war spät am Nachmittag, und die Buden der Seiler und Riemenschneider waren schon geschlossen, die Gasse leer. Es war warm, der Mann aber hatte sich einen schwarzen Mantel über die Schultern geworfen. Er erregte Aufmerksamkeit.
    Vor dem Gasthaus »Zum Alten Narakort« hielt er inne, blieb eine Weile stehen und lauschte dem Stimmengewirr. Wie um diese Zeit üblich, war das Gasthaus voller Leute.
    Der Unbekannte ging nicht in den »Alten Narakort«. Er zog das Pferd weiter, die Gasse hinab. Dort befand sich eine andere, kleinere Schenke, sie hieß »Zum Fuchs«. Darin war es leer. Die Schenke hatte nicht den besten Ruf.
    Der Wirt reckte den Kopf hinter einem Fass mit sauren Gurken hervor und musterte den Gast. Der Fremde, noch immer im Mantel, stand steif am Schanktisch, ohne eine Bewegung, und schwieg.
    »Was soll’s sein?«
    »Bier«, sagte der Unbekannte. Er hatte eine unangenehme Stimme.
    Der Wirt wischte sich die Hände an der Leinenschürze ab und füllte einen abgenutzten Tonkrug.
    Der Unbekannte war nicht alt, doch er hatte fast ganz weiße Haare. Unter dem Mantel trug er ein abgewetztes Lederwams, das am Hals und über den Achseln zugebunden war. Als er den Mantel auszog, bemerkten alle, dass er an einem über die Schulter laufenden Gurt ein Schwert trug. Daran war nichts Besonderes, in Wyzima ging fast jedermann bewaffnet, doch niemand trug das Schwert auf dem Rücken wie einen Bogen oder einen Köcher.
    Der Unbekannte setzte sich nicht an den Tisch zu den wenigen Gästen, er blieb am Schanktisch stehen und betrachtete den Wirt durchdringend. Er griff nach dem Krug.
    »Ich suche ein Nachtlager.«
    »Nichts frei«, knurrte der Wirt, den Blick auf die Stiefel des Gastes gerichtet, die staubig und schmutzig waren. »Versucht’s im ›Alten Narakort‹.«
    »Mir wäre es hier lieber.«
    »Nichts frei.« Der Wirt hatte endlich den Akzent des Fremden erkannt. Es war ein Rivier.
    »Ich bezahle«, sagte der Unbekannte leise, als sei er unsicher.
    Und da begann die ganze hässliche Sache. Ein pockennarbiger, grobschlächtiger Kerl, der den Fremden seit seiner Ankunft finster gemustert hatte, stand auf und kam zum Schanktisch. Seine beiden Kumpane folgten ihm im Abstand von höchstens zwei Schritt.
    »Es ist nichts frei, Halunke, du rivischer Strolch«, knurrte der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher