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Kein Kinderspiel

Kein Kinderspiel

Titel: Kein Kinderspiel
Autoren: Dennis Lehane
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Kiste den Flur entlanghumpelte, sie zu den anderen vor der Eingangstür stellte und zurück ins Schlafzimmer hüpfte.
    »Warum haut sie dann ab?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Frag sie doch.«
    »Hab’ ich schon. Will sie mir nicht sagen.«
    Wieder zuckte ich mit den Achseln. Ich traute mich nicht zu sprechen.
    »Hey, Mann«, sagte Bubba. »Ich hab’ ein schlechtes Gewissen, wenn ich der Frau beim Umzug helfe. Verstehst du? Aber sie hat mich drum gebeten.«
    »Ist schon gut, Bubba. Schon gut.«
    Im Fernsehen erzählte Helene einem Journalisten, sie sei bestimmt die glücklichste Frau der Welt.
    Bubba schüttelte den Kopf und ging zu den aufgestapelten Kisten vor der Tür, lud sich ein paar auf und trottete damit die Treppe hinunter.
    Ich lehnte mich in den Türrahmen des Schlafzimmers und sah Angie zu, die TShirts aus dem Wandschrank nahm und aufs Bett warf.
    »Kommst du klar?« fragte ich sie.
    Sie nahm eine Handvoll Kleiderbügel von der Stange. »Ja, sicher.«
    »Ich finde, wir sollten darüber reden.«
    Sie glättete die Falten auf dem obersten T-Shirt. »Wir haben darüber gesprochen. Im Wald. Ich habe nichts mehr zu sagen.«
    »Ich schon«, gab ich zurück.
    Sie öffnete den Reißverschluß einer Kleiderhülle, schob den Stapel mit den TShirts hinein und zog den Reißverschluß wieder zu.
    »Ich schon«, wiederholte ich.
    »Ein paar von den Bügeln gehören dir«, sagte sie. »Ich bring’ sie dir zurück.«
    Sie griff nach den Krücken und drehte sich zu mir um.
    Ich blieb stehen, versperrte ihr den Weg.
    Sie senkte den Kopf und sah zu Boden. »Willst du da auf ewig stehenbleiben?«
    »Weiß ich nicht. Was meinst du?«
    »Ich überlege nur, ob ich die Krücken wieder zur Seite lege. Wenn ich mich nicht bewege, werden die Arme nach einer Weile taub.«
    Ich trat zur Seite, und sie ging nach draußen, wo sie Bubba auf der Treppe traf.
    »Auf dem Bett liegt noch ein Kleidersack«, sagte sie. »Das ist dann alles.«
    Danach humpelte sie die Treppen hinunter, und ich hörte, wie sie die Krücken in die eine Hand nahm, während sie sich mit der anderen am Geländer festhielt und Stufe um Stufe abwärts hüpfte.
    Bubba nahm die Hülle mit den Klamotten vom Bett.
    »Mann, was hast du bloß mit ihr gemacht?«
    Ich dachte an Amanda, die in Tricia Doyles Armen auf der Bank der Veranda saß, an die Decke, die sie sich zum Schutz vor der Kälte umgelegt hatten, wie sie leise und vertraut miteinander sprachen.
    »Ihr das Herz gebrochen«, antwortete ich.
    In der darauffolgenden Woche wurden Jack Doyle, seine Frau Tricia und Lionel McCready von einer bundesstaatlichen Jury der Kindesentführung, Freiheitsberaubung und Gefährdung eines minderjährigen Kindes und grober Fahrlässigkeit gegenüber einem Kind angeklagt. Außerdem wurde Jack Doyle des Mordes an Christopher Mullen und Pharaoh Gutierrez sowie des versuchten Mordes an Lionel McCready und Bundesagent Neal Ryerson beschuldigt.
    Ryerson wurde aus dem Krankenhaus entlassen. Die Ärzte hatten seinen Arm retten können, doch war er verkümmert und nicht zu gebrauchen - vielleicht sogar für immer. Er kehrte nach Washington zurück, wo ihm die Verantwortung für das Zeugenschutzprogramm übertragen wurde.
    Ich wurde vor die Anklagejury bestellt und aufgefordert, all mein Wissen über diesen Fall zu Protokoll zu geben, der von der Presse »Copnapping-Skandal« getauft worden war. Niemand schien zu merken, daß diese Bezeichnung irreführend war. Sie bedeutete, daß Cops, also Polizisten, entführt wurden und nicht selber die Entführer waren. Dennoch wurde dieser Name bald als Synonym für den Fall verwendet, so wie Watergate für die verschiedenen Übertretungen und Korruptionsaffären Nixons stand.
    Vor der Jury wurde mein Bericht über die letzten Minuten mit Remy Broussard auf dem Dach nicht zugelassen, weil er nicht zu beweisen war. Ich mußte mich darauf beschränken, nur das anzugeben, was ich während der Recherche beobachtet und in meinen Aufzeichnungen niedergeschrieben hatte.
    Für den Mord an Mini-David Martin, Kimmie Niehaus, Sven »Cheese« Olamon und Raymond Likanski, dessen Leiche niemals gefunden wurde, wurde niemand angeklagt.
    Der Bundesstaatsanwalt erzählte mir, daß Jack Doyle wohl nicht für den Tod von Mullen und Gutierrez verurteilt werden würde, daß aber seine Strafe für die Kindesentführung ziemlich hoch ausfallen würde, weil seine Beteiligung an den Morden offensichtlich war. Er würde wohl nie wieder ein Gefängnis von außen
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