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Kein Kinderspiel

Kein Kinderspiel

Titel: Kein Kinderspiel
Autoren: Dennis Lehane
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Tupfen schmückten das Grün.
    Wie Broussards Haus auch lag das von Jack Doyle nicht direkt an der Straße, sondern befand sich, verborgen hinter Bäumen, am Ende einer steilen Auffahrt. Doch diese Zufahrt war länger als bei Broussard, fast eine Viertelmeile lang, und führte tiefer in den Wald. Der nächste Nachbar wohnte fast zwanzig Kilometer weiter westlich, die Fensterläden seines Hauses waren jedoch geschlossen, der Schornstein rauchte nicht.
    Wir parkten die Autos ungefähr zwanzig Meter von der Hauptstraße entfernt und liefen den Rest des Weges langsam und vorsichtig zu Fuß durch den Wald, nicht nur, weil uns die Natur so fremd war, sondern weil Angies Krücken auf dem unebenen Untergrund nur schlecht Halt fanden. Ungefähr zehn Meter vor der Lichtung, die Doyles flaches Waldhäuschen umgab, blieben wir stehen und betrachteten die rundherum laufende Veranda und die Holzscheite unter dem Küchenfenster.
    Es stand kein Auto vor dem Haus, es schien leer zu sein. Wir warteten eine Viertelstunde, doch hinter den Fensterscheiben bewegte sich nichts. Aus dem Schornstein kam kein Rauch.
    »Ich gehe rein«, sagte ich schließlich.
    »Wenn er da ist«, gab Oscar zu bedenken, »dann hat er das Recht, auf dich zu schießen, sobald du die Veranda betrittst.«
    Als ich nach meiner Pistole griff und das leere Holster berührte, fiel mir ein, daß sie von der Polizei beschlagnahmt worden war.
    Ich drehte mich zu Devin und Oscar um.
    »Auf keinen Fall«, sagte Devin. »Hier werden keine Bullen mehr erschossen. Nicht mal in Notwehr.«
    »Und wenn er auf mich anlegt?«
    »Dann versuch’ zu beten«, gab Oscar zurück.
    Ich schüttelte den Kopf, schob die Schößlinge vor mir zur Seite und wollte gerade losgehen, als Angie mich am Arm festhielt.
    Ich blieb stehen. Wir lauschten und hörten einen Motor brummen. Von rechts näherte sich ein alter Geländewagen von Mercedes Benz, an dessen Kühlergrill ein kleiner Schneepflug befestigt war. Er rumpelte die Straße hoch und fuhr zum Haus hinauf. Vor der Treppe parkte er, die Fahrerseite uns zugewandt, und als sich die Tür öffnete, stieg eine rundliche Frau mit einem freundlichen, offenen Gesicht aus. Sie schnupperte die Luft und sah durch die Bäume direkt auf uns. Sie hatte wunderschöne Augen - das klarste Blau, das ich je gesehen hatte - und eine gesunde Hautfarbe vom Leben in den Bergen.
    »Seine Frau Tricia«, flüsterte Oscar.
    Sie drehte sich um und griff ins Auto. Zuerst dachte ich, sie hole eine Einkaufstasche mit Gemüse heraus, doch dann machte etwas in mir einen Sprung und erstarb.
    Amanda McCready ließ ihr Kinn auf die Schulter der Frau sinken und starrte mich durch die Bäume mit schläfrigem Blick an. Sie lutschte am Daumen und trug eine rotschwarze Mütze mit Ohrenklappen.
    »Da ist ja jemand eingeschlafen im Auto, hm?« sagte Tricia Doyle.
    Amanda kuschelte den Kopf an Mrs. Doyles Hals. Die Frau nahm Amanda die Mütze ab und strich ihr über das Haar, das im hellen Licht unter den grünen Bäumen fast golden glänzte.
    »Hilfst du mir, das Mittagessen zu machen?«
    Ich sah, daß Amanda die Lippen bewegte, konnte jedoch nicht hören, was sie sagte. Wieder legte sie den Kopf zur Seite, und das schüchterne Lächeln auf ihren Lippen war so niedlich, so glücklich, daß es mir wie ein Messer in die Brust schnitt.
    Wir beobachteten sie zwei Stunden lang.
    In der Küche bereiteten sie Sandwiches mit Schmelzkäse zu. Mrs. Doyle stand an der Bratpfanne, und Amanda saß auf der Küchentheke und reichte ihr Käse und Brot. Sie aßen am Tisch, und ich kletterte auf den untersten Ast eines Baumes, um sie besser sehen zu können.
    Bei Sandwiches und Suppe unterhielten sie sich, beugten sich zum anderen, gestikulierten mit den Händen und lachten mit vollem Mund.
    Nach dem Essen wuschen sie zusammen ab, und danach setzte Tricia Doyle Amanda McCready auf die Theke und zog ihr wieder Mantel und Mütze an. Anerkennend sah sie zu, wie Amanda die Turnschuhe auf die Theke stellte und sie zuschnürte.
    Tricia verschwand im hinteren Teil des Hauses, wohl um ihren eigenen Mantel und Schuhe zu holen, und Amanda blieb auf der Theke sitzen. Sie sah aus dem Fenster, und langsam wurde ihr Gesicht von einem schmerzlichen Gefühl der Verlassenheit erfüllt. Durch die Scheibe hindurch starrte sie etwas an, das sich jenseits des Waldes, jenseits der Berge befand. Ich wußte nicht, ob die markerschütternde Vernachlässigung in ihrer Vergangenheit oder die bedrückende Unsicherheit in ihrem
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