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Und die Goetter schweigen

Und die Goetter schweigen

Titel: Und die Goetter schweigen
Autoren: Anna Janson
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    Schneeflocken tanzten in der kalten Morgendämmerung. Spielerisch wirbelten sie herunter auf die Erde und ließen sich von dem feuchten Lehmboden aufsaugen. Der Himmel hing mächtig und grau wie Blei über den Bäumen. Zwischen den Fichten war die Dunkelheit undurchdringlich. Mit der Taschenlampe in der Hand bahnte sich Kriminalinspektor Hartman einen Weg in Richtung auf das dumpf schlagende Geräusch vor ihnen. Dicht hinter ihm ging Edvin, ein alter Mann in Blaumann, Sportmütze und abgetragener Lederjacke. Er atmete schwer, stolperte ungeschickt. Immer noch hielt er seinen toten Hund im Arm. Flüsternd wiederholte er den Namen des Tieres, während er mit der Hand über das weiße, blutgetränkte Fell strich. Neben dem Alten, den Arm um seine magere Schulter gelegt, ging Polizeiassistentin Maria Wern. Ihr langer heller Haarzopf wedelte auf ihrem Rücken hin und her, als sie über kantige Steine und schlüpfrige Wurzeln balancierte. Der Lichtkegel der Taschenlampe glitt unsicher zwischen den Bäumen hin und her in Richtung auf das Geräusch, das jetzt lauter und auch dumpfer wurde. Die kahlen Zweige der Laubbäume zeichneten sich gegen das Grau des Himmels ab. Mit großem ausladendem Schwung bewegten sie sich im Wind. Im Übergang zwischen Nacht und Tag waren alle Farben grau getönt. »Da«, zeigte Edvin, »da drinnen war es!« Hartman gab ihnen mit einem Handzeichen zu verstehen, dass sie stehen bleiben sollten. Der Boden war weich. Je weniger Fußabdrücke, desto besser. Im Licht war jetzt ein großes schwarzes Bündel zu erkennen, das im Wind pendelte und gegen den Baumstamm schlug. Das weiße Gesicht und die bloßen Hände gaben einen Widerschein, nackt und bizarr. Der Mann hing steif da, mit einer Schlinge um den Hals. Das Hemd war zerrissen, der Bauch von einem groben Stab durchbohrt. Die Zunge, schwarz aufgequollen, war zwischen die Zähne gequetscht. Die Augen waren halb geschlossen. Vorwitzige weiße Flocken setzten sich in das Haar des Mannes. Vielleicht eine besondere Laune der Natur, um das Geschehen zu verstecken, kam es Hartman in den Sinn, und er merkte plötzlich, dass er fror.
    Nachdem das Gelände abgesperrt und das Waldstück von der Polizei mit Beschlag belegt worden war, begleitete Polizeiassistentin Maria Wern den alten Mann nach Hause. Erika Lund von der Spurensicherung hatte den Hund an sich genommen. Nur widerwillig hatte der Besitzer ihn hergegeben, nachdem Erika ihm versprochen hatte, dass er den Körper zurückbekommen würde, damit er den Hund zu Hause auf seinem Grundstück unter der Birke begraben konnte. Sie gingen nebeneinander den Schotterweg entlang. Schwarze Fahrspuren schlängelten sich zwischen düsteren Fichten, schlanken Birken und dunklen Wacholderbüschen dahin, bis der Wald in ein Sumpfgebiet überging. Ein halb verrotteter Hochsitz ragte in den grauen Himmel. Tief unten in den Wurzeln ruhte das Gras. Die ehemals grünen Halme des Sommers lagen welk und braun, sie schmierten an ihren Füßen. Das dunkelrote Häuschen war undeutlich am anderen Ende des Moores zu erkennen. In den tiefen Fahrspuren des Schotterweges stand lehmiges Wasser. Die beiden Wanderer stapften am Wegrand entlang. Der Alte sprach ununterbrochen über das Ereignis. Ständig wiederholte er, was geschehen war, und Maria ließ ihn reden, ohne ihn zu unterbrechen. Wer weiß, ob er jemanden hatte, mit dem er über das schreckliche Erlebnis sprechen konnte. Im Dienst hatte Maria alte Menschen erlebt, die nach einem erschütternden Vorfall völlig am Boden zerstört waren, weil sie niemanden hatten, mit dem sie reden konnten. Ein Einbruch, ein Handtaschenraub, und schon war der Schock kaum mehr zu überwinden, sie zogen sich zurück und wagten sich nicht mehr hinaus. Die beiden ließen sich in der kleinen unmodernen Küche nieder, in der die braune großgemusterte Tapete und die türkisfarbenen Küchenmöbel ganz und gar nicht zusammenpassten. Auf einer Leine über dem mit Holz beheizten Herd hingen zwei Paar grobe Wollsocken, die leicht dampften. Die Kupferkessel an den Wänden und die Pferdeglöckchen im Fenster blitzten frisch geputzt in hellem Glanz. In einem dreibeinigen Leuchter auf der Herdplatte warteten die neuen Kerzen darauf, angezündet zu werden, wenn die Feiertage begannen. Maria faltete eine Karte auseinander. Zusammen folgten sie auf dem Papier dem Bach in den Wald hinein bis zum Tatort. Das Gebiet stand als vorgeschichtliche Kultstätte unter Schutz, es war ein steinzeitliches Grabfeld mit
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