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Kein Kinderspiel

Kein Kinderspiel

Titel: Kein Kinderspiel
Autoren: Dennis Lehane
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    Rachel und Nicholas Broussard verschwanden in der Nacht, als Remy starb, mit unbekanntem Ziel. Die Verteidigung nahm an, daß sie die zweihunderttausend Dollar von Cheese dabeihatten.
    Eins der Skelette im Keller von Leon und Roberta Trett wurde als das eines fünfjährigen Jungen identifiziert, der zwei Jahre zuvor im westlichen Vermont verschwunden war. Das andere gehörte einem siebenjährigen Mädchen, das noch nicht identifiziert und auch nicht als vermißt gemeldet worden war.
    Im Juni sah ich bei Helene vorbei.
    Sie umarmte mich herzlich mit ihren knochigen Armen. Mir tat der Nacken weh. Sie roch nach Parfüm und hatte knallroten Lippenstift aufgelegt.
    Amanda saß auf der Couch im Wohnzimmer und sah sich eine Comedy über den alleinerziehenden Vater von frühreifen sechsjährigen Zwillingsschwestern an. Der Vater war Gouverneur oder Senator oder sonst etwas Hohes, jedenfalls war er immer im Büro, doch soweit ich sehen konnte, hatte er kein Kindermädchen für seine Töchter. Ein spanischer Hausdiener kam ständig herein und lamentierte in einem fort über seine Frau Rosa, die immer Kopfschmerzen hatte. Er machte unaufhörlich sexuelle Anspielungen, und die Zwillinge lachten wissend, während der Gouverneur versuchte, streng dreinzublicken und gleichzeitig sein Lachen zu verbergen. Das Publikum war begeistert. Bei jedem Witz drehte es durch.
    Amanda saß einfach nur da. Sie trug ein rosa Nachthemd, das dringend gewaschen werden mußte. Sie erkannte mich nicht.
    »Schätzchen, das ist Patrick, mein Freund.«
    Amanda sah mich an und hob die Hand.
    Ich winkte zurück, doch sie sah schon wieder fern.
    »Sie ist ganz verrückt nach dieser Serie. Stimmt’s, Kleines?«
    Amanda antwortete nicht.
    Helene lief mit gesenktem Kopf durchs Wohnzimmer und klemmte sich Ohrringe ans Ohr. »Mann, Patrick, Bea haßt dich echt, weil du das mit Lionel gemacht hast.«
    Ich folgte ihr ins Eßzimmer, wo sie Utensilien vom Tisch in ihre Tasche packte.
    »Deshalb hat sie meine Rechnung wohl noch nicht bezahlt.«
    »Du kannst sie doch verklagen«, erwiderte Helene. »Oder? Könntest du doch, oder?«
    Ich ging nicht darauf ein. »Und du? Haßt du mich auch?«
    Sie schüttelte den Kopf und drückte das Haar an den Schläfen an. »Bist du blöd? Lionel hat meine Tochter entführt. Auch wenn er mein Bruder ist, er kann mich am Arsch lecken. Sie hätte sich dabei etwas tun können. Verstehst du?«
    Etwas zuckte leicht in Amandas Gesicht, als ihre Mutter »am Arsch lecken« sagte.
    Helene fuhr mit der Hand durch drei grellbunte Plastikreifen und schüttelte den Arm, damit sie übers Handgelenk fielen.
    »Gehst du aus?« fragte ich.
    Sie lächelte. »Siehst du doch. Hier, dieser Typ: er hat mich im Fernsehen gesehen, und jetzt denkt er, ich bin so was wie ein Star.« Sie lachte. »Ist das nicht Wahnsinn? Na ja, er hat mich eingeladen. Er ist echt süß.«
    Ich sah zu dem Kind auf der Couch.
    »Was ist mit Amanda?«
    Helene lächelte mich breit an. » Dottie paßt auf sie auf.«
    »Weiß Dottie das schon?« fragte ich.
    Helene kicherte. »In fünf Minuten, ja.«
    Ich betrachtete Amanda, auf deren Gesicht sich das Bild eines elektrischen Dosenöffners aus dem Fernsehen spiegelte. Die Dose öffnete sich wie ein Mund mitten auf ihrer Stirn, ihr eckiges Kinn war in Blau und Weiß gebadet. Ohne jedes Interesse starrte sie in die Kiste, während der Jingle gespielt wurde. Ein Irish Setter löste den Dosenöffner ab, sprang über Amandas Stirn durch ein grünes Feld.
    »Der Kaviar unter den Hundefuttermarken«, sagte die Stimme. »Denn ihr Hund hat es verdient, wie ein vollwertiges Familienmitglied behandelt zu werden.«
    Hängt vom Hund ab, dachte ich. Oder von der Familie.
    Ein unkontrollierbares Gefühl des Überdrusses traf mich in der Magengrube, verschlug mir den Atem und verschwand genauso schnell, wie es gekommen war. Ihm folgte ein Pochen, das sich in meinen Knochen festsetzte.
    Ich mußte alle Kräfte mobilisieren, um das Eßzimmer durchqueren zu können. »Wiedersehen, Helene.«
    »Ach, gehst du schon? Tschüs!«
    An der Tür hielt ich inne. »Tschüs, Amanda.«
    Amandas Blick war auf den Fernseher geheftet, das Gesicht leuchtete grau. »Tschüs«, gab sie zurück, doch ich wußte, daß sie mit dem spanischen Hausdiener sprach, der zu seiner Rosa zurückkehrte.
    Draußen lief ich eine Weile herum und gelangte schließlich zum Ryan-Spielplatz, wo ich mich auf die Schaukel setzte, auf der ich mich mit Broussard unterhalten hatte.
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