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Kein Kinderspiel

Kein Kinderspiel

Titel: Kein Kinderspiel
Autoren: Dennis Lehane
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jetzigen Leben - das sie mit Sicherheit noch immer für ein Märchen hielt - ihre Miene verdüsterte. In diesem Moment erkannte ich Amanda als die Tochter ihrer Mutter Helene, und ich wußte wieder, wo ich diesen Gesichtsausdruck schon einmal gesehen hatte. Es war in der Nacht gewesen, als ich Helene in der Kneipe getroffen hatte und sie versprochen hatte, Amanda nie wieder aus den Augen zu lassen, wenn sie noch eine Chance bekäme.
    Tricia Doyle kam in die Küche zurück, und ein verwirrter Ausdruck - die Spur alter und neuer Schmerzen - überschattete Amandas Gesicht, wurde dann jedoch von einem zögernden, hoffnungsvollen Lächeln vertrieben.
    Ich stieg vom Baum herunter, und die beiden traten zusammen mit einer gedrungenen Englischen Bulldogge auf die Veranda. Das gescheckte Fell des Hundes paßte farblich zu dem nackten, kahlen Hügel hinter dem Haus, wo noch vereinzelt Schnee in den Felsspalten lag.
    Amanda tollte mit dem Hund umher und kreischte laut, als er über ihr stand und Geifer auf ihre Wange tropfte. Sie rappelte sich auf, und er lief hinter ihr her und sprang an ihren Beinen hoch.
    Tricia Doyle hielt den Hund fest und zeigte Amanda, wie man ihn bürstete, und das Mädchen kniete sich hin und fuhr ihm ganz sanft über das Fell, so als bürste sie sich selbst.
    »Das mag er nicht«, hörte ich sie sagen.
    Es war das erste Mal, daß ich ihre Stimme hörte. Sie war neugierig, intelligent, deutlich.
    »Er mag es, weil du es besser machst als ich«, antwortete Tricia Doyle. »Du bist viel sanfter als ich.«
    »Ja?« Amanda sah zu Tricia Doyle auf und bürstete den Hund weiter mit langsamen, gleichmäßigen Bewegungen.
    »Aber ja. Viel sanfter. Sieh dir mal meine alten Hände an, Amanda. Ich muß die Bürste so fest anfassen, daß es der alte Larry manchmal richtig zu spüren bekommt.«
    »Wieso heißt er noch mal Larry?« Den Namen des Hundes sprach Amanda in hoher Tonlage aus, fast so, als würde sie singen.
    »Das habe ich dir doch schon einmal erzählt«, antwortete Tricia.
    »Noch mal, bitte«, sagte Amanda.
    Tricia Doyle kicherte. »Als wir noch nicht lange verheiratet waren, hatte Mr. Doyle einen Onkel, der wie eine Bulldogge aussah. Er hatte dicke Hängebacken, so!«
    Mit der freien Hand zog Tricia Doyle die Haut an ihren Wangen herunter.
    Amanda lachte. »Sah er wie ein Hund aus?«
    »Und wie, kleine Dame. Manchmal bellte er sogar.«
    Amanda lachte erneut. »Gar nicht!«
    »Oh doch.Wuff!«
    »Wuff!« machte Amanda.
    Dann fiel der Hund mit ein, und Amanda legte die Bürste zur Seite. Mrs. Doyle ließ Larry los, und die drei hockten sich hin und bellten einander an.
    Für den Rest des Nachmittags bewegte sich keiner von uns zwischen den Bäumen oder sagte etwas. Wir sahen ihnen zu, wie sie mit dem Hund und miteinander spielten und das Haus mit alten Bauklötzchen nachbauten. Wir sahen zu, wie sie auf der Bank der Veranda saßen, eine Wolldecke über die Schultern gelegt, weil es kälter geworden war. Der Hund lag zu ihren Füßen. Amanda hatte den Kopf auf die Brust von Mrs. Doyle gelegt, diese sprach in Amandas Haare, und das Kind antwortete.
    Ich glaube, wir alle dort im Wald fühlten uns schmutzig, klein und leer. Kinderlos. Wir hatten uns bisher als unfähig oder unwillig erwiesen, das Opfer der Elternschaft auf uns zu nehmen. Bürokraten in der Wildnis.
    Hand in Hand waren sie zurück ins Haus gegangen, der Hund hatte sich zwischen ihren Beinen hineingequetscht. Kurz darauf kam Jack Doyle angefahren. Er stieg mit einer Schachtel unter dem Arm aus seinem Ford Explorer, und der Inhalt dieser Schachtel ließ Tricia Doyle und Amanda aufjauchzen, als er sie im Haus öffnete.
    Die drei kehrten zurück in die Küche, und Amanda hockte wieder auf der Theke und plapperte ohne Unterlaß. Mit den Händen zeigte sie, wie sie Larry gebürstet hatte, dann zog sie die Wangen mit den Fingern herunter und ahmte Tricia nach, die den alten Onkel Larry nachgemacht hatte. Jack Doyle warf den Kopf in den Nacken und lachte, dann drückte er das kleine Mädchen an seine Brust. Als er sich von ihr lösen wollte, klammerte sie sich an ihn und rieb ihre Wange an seinen Bartstoppeln.
    Devin holte ein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer der Auskunft. Als sich jemand meldete, sagte er: »Das Büro des Sheriffs von West Beckett, bitte.« Leise wiederholte er die Nummer, die ihm durchgesagt wurde, und drückte dann die entsprechenden Tasten auf dem Handy.
    Bevor er auf ANRUF drücken konnte, legte ihm Angie die Hand auf
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