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Kebabweihnacht

Kebabweihnacht

Titel: Kebabweihnacht
Autoren: Lale Akgün
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Vater, Mutter und |16| ein kleiner Sohn, so eine Familie wünschte sich auch Umut, ohne die störende Schwester. Aber sein Vater, der liebte Ayla, so wie Mohammed seine Lieblingstochter Fatima. Ayla war die gute Tochter, die dem Papa die Wünsche von den Augen ablas, und er, Umut, war der renitente Sohn. Trotzdem: Es war eine schöne Zeit gewesen, damals, als sie zu Hause noch Weihnachtsplätzchen backen konnten, ohne dass sich Widerspruch vom Vater regte.
    |17| ALS UMUT AUS der Bahn stieg, war er immer noch guter Laune, trotz der Erinnerung an die Konflikte mit seinem Vater. Er war siebzehn, und die Konflikte hatten zugenommen in den letzten Jahren. Das hing auch damit zusammen, dass sich sein Vater sehr verändert hatte. Er war nicht mehr der Alte. Einfach war ihre Beziehung nie gewesen, aber seitdem sein Vater immer öfter in diese eine Moschee ging, stellte er auch die gewohnte Lebensweise seiner Familie in Frage. Alles, was bis dahin in Ordnung gewesen war, war auf einmal nicht mehr in Ordnung. Er war knackkonservativen Typen auf den Leim gegangen. Jetzt gab es zu Hause nur noch ein Wort: Sünde – Sünde – Sünde. Alles war Sünde, Musik war Sünde, Lachen war Sünde, Lebensfreude war Sünde. Jeder zweite Satz fing damit an, dass der Vater zum Besten gab, was alles im Islam verboten war.
    Umut zweifelte sehr an den Darstellungen seines Vaters bzw. an der Wiedergabe dessen, was der Imam gesagt hatte. Das, was sein Vater so erzählte, wenn er den Imam zitierte, konnte weder gottgefällig noch im Sinne des Islam sein. Gott war nicht so kleinlich und der Islam keine ängstliche Religion. Aber es war |18| sehr schwer, seinem Vater das alles zu erklären. Der glaubte nur noch dem, was der Imam erzählte.
    Seine Mutter trug inzwischen ein Kopftuch, was früher nicht der Fall gewesen war, seine Schwester neuerdings auch. Wobei sie nach wie vor eine ganz besondere Nummer war. Zu Hause mimte sie die brave Tochter, ja, sie hatte selber drauf bestanden, sich ein Kopftuch umzubinden, weil sie genau wusste, dass sie damit ihren Vater völlig in der Hand hatte. Überall erzählte er jetzt voller Stolz, wie seine Tochter geradezu darum gebettelt hatte, ein Kopftuch tragen zu dürfen; er merkte nicht einmal, wie sich die Leute um ihn herum lustig machten, weil sie mitbekamen, was sich die brave Ayla mit Kopftuch so alles erlaubte. Denn im Schutz des Kopftuchs machte Ayla einfach ihr Ding, und wenn sie dann nach Hause kam, säuselte sie was von »Väterchen hier, Väterchen da«, und Arif war hingerissen. Da sie ausgesprochen intelligent war, hatte sie Abitur gemacht und studierte jetzt. Und machte noch so manches andere. Nicht, dass Umut neidisch auf die Erfolge seiner Schwester war, er hatte diese längst akzeptiert; was ihn wurmte, war die Tatsache, dass sie sich immer gut aus der Affäre ziehen konnte. Er wusste zum Beispiel um ihre Männerbekanntschaften und dass sie auch mit diversen Männern schlief. Aber das würde nie thematisiert werden, und irgendwann – davon war Umut überzeugt – würde sie als Jungfrau eine ihr sehr genehme Ehe schließen und dabei ihrem Vater das Gefühl vermitteln, |19| dass er es gewesen sei, der diese Ehe arrangiert habe.
    Wollte er mit ihr tauschen? Nein, ganz sicher nicht, so ein Doppelleben hätte er um keinen Preis führen können. Bei dem Gedanken an das Stichwort »Doppelleben« wurde ihm unwohl, aber er versuchte, dieses Gefühl schnell loszuwerden, denn sein Doppelleben war ein anderes als das seiner Schwester.
     
    Beim Abendessen war die Stimmung wie immer, irgendwie fehlte es in dieser Familie an Wärme und Vertrautheit, dachte Umut. Ja, mehr noch, es kostete furchtbar viel Energie, die unterschwellige Aggressivität, die seit einigen Jahren aufkam, sobald sie zusammensaßen, zu unterdrücken. Seine Mutter versuchte zwar, so etwas wie Gemeinsamkeit herzustellen, aber es war aufgesetzt. Die Rituale und Redewendungen waren hohl und künstlich. Ein Automatismus der Familienkommunikation.
    Während sie zusammen, aber nicht gemeinsam zu Abend essen, wollen wir uns die Familie etwas näher anschauen. Zuerst den Vater: Arif, inzwischen vierundvierzig, war als Kind nach Deutschland gekommen, eigentlich als Teenager, nachdem er ein paar Jahre bei Oma und Opa im Dorf verbracht hatte. Er war ein unauffälliger Junge gewesen, im Guten wie im Schlechten. Er ging seiner Arbeit nach, besuchte samstags ab und zu mit seinen Kumpels die Türkendisco, und als er Mitte zwanzig war, beschlossen
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