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Kebabweihnacht

Kebabweihnacht

Titel: Kebabweihnacht
Autoren: Lale Akgün
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doch in Bethlehem geboren. Gibt es, bitte, in Bethlehem Tannenbäume? Da wachsen doch gar keine Tannenbäume? Und dieser ganze Quatsch mit weiße Weihnacht! hat es jemals in Bethlehem geschneit? Mitten im Sommer, als ja Jesus nachweislich geboren wurde?«
    Arif wartete die Antwort seines Sohnes nicht ab und redete sich weiter in Rage: »Ich sage es dir: Natürlich nicht, das ist eine so perfide Art der Missionierung, dass alles an die mitteleuropäischen Umstände angepasst wurde, das ist Missionierung und Kolonialisierung pur. Du exportierst deine Religion und deine Kultur, und du tust auch noch so, als sei sie allen anderen überlegen, sogar deine klimatischen Bedingungen exportierst du und machst sie zum Teil einer Kultur. Jetzt wollen alle auf der ganzen Welt weiße Weihnachten feiern, wir haben es doch selber gesehen in Istanbul, wo es auch höchst selten schneit. Aber was ist? Alle Schaufenster sind voll mit Watte und Styroporschnee!«
    »Hat dir das alles der Imam erzählt?«, fragte Ayla. »Hast du all diese Erkenntnisse vom Imam, oder hast |27| du dir das selber überlegt?« Sie war immer so raffiniert; wenn sie so fragte, konnte man aus ihrer Frage nicht schließen, ob sie ihrem Vater recht gab oder nicht; die gute Ayla, sie verdarb es sich mit niemandem.
    Sofort fühlte sich der Vater von ihr angenommen und verstanden.
    »Unser Imam, mein Kind, hat uns das alles erklärt, und er hat noch ganz andere Sachen erzählt. Wir müssen alle sehr aufpassen, dass wir nicht missioniert werden. Sie sind überall, die christlichen Missionare, du erkennst sie nicht, sie tauchen sehr freundlich auf, tun so, als ob sie dir helfen oder dich unterstützen wollen. In Wirklichkeit wollen sie dich nur missionieren und für das Christentum gewinnen. Sie wollen dich deiner Religion entfremden.«
    »Weihnachten ist ein großes Geschäft«, stellte Ayla fest. »Wisst ihr, wie hoch der Umsatz des Einzelhandels in der EU zur Weihnachtszeit ist? Es wird die Geschäftsidee exportiert, Papa, nicht der Glaube oder die Religion!«
    »Mein Kind«, Arifs Stimme klang viel freundlicher, wenn er mit Ayla sprach, denn obwohl er es nicht einmal vor sich zugegeben hätte, hatte er großen Respekt vor seiner kleinen Tochter, die es als Erste in der Familie geschafft hatte zu studieren.«
    »Du siehst das natürlich mit den Augen einer studierten Volkswirtin, aber glaube deinem alten Vater, es ist mehr als nur Geschäft, es ist der Versuch, die Muslime zu missionieren.«
    |28| »Studierte Volkswirtin«, dachte Umut, sie ist erst im zweiten Semester, aber wie es so ist, wenn sie was sagt, wird sie nicht angebrüllt oder beleidigt.
    »Bitte nicht«, sagte Hülya jetzt, mehr matt als aufgebracht. »Wir haben erst August, und der Streit um die richtige Einstellung zu Weihnachten geht jetzt schon los.«
    »Wenn man so einen Sohn hat, der geradezu nach christlicher Symbolik lechzt, dann geht die Adventszeit schon im August los!«
    »Ne, mein lieber Vater, nicht so«, jetzt klang die Stimme von Umut nicht mehr so kontrolliert. »Andersrum wird ein Schuh draus. Wenn man einen Vater hat, der sich von hergelaufenen Imamen mit Halbwissen den Islam erklären lässt und für den es schon eine Sünde ist, in Gegenwart von Nicht-Muslimen zu atmen, dann kann man nicht mal mehr ordentlich von der Arbeit erzählen, ohne dass sofort etwas dahinter vermutet wird!«
    »Wie redest du mit deinem Vater?«, brüllte Arif. »Steh sofort von meinem Tisch auf, ich will dich nicht mehr sehen!«
    Umut war kalkweiß geworden, er stand auf und ging in sein Zimmer.
    Er wusste, die Krise, die jetzt ausgelöst worden war, würde mindestens eine Woche andauern. Sein Vater würde jetzt »seinem« Imam den heutigen Vorfall erzählen, und dieser würde die kühnsten Thesen aufstellen. Das kannte er von früheren Streitereien.
    »Sie haben deinen Sohn verhext«, würde er sagen, |29| oder: »Wahrscheinlich ist dein Sohn schon konvertiert, und deswegen geht ihm jeder Respekt vor dem Vater ab!«
    Warum konnte sein Vater nicht so unbekümmert sein wie sein Onkel? Oder seine Großmutter? Aber während der Rest der Familie völlig normal geblieben war, war sein Vater dieser radikalen Sekte beigetreten. Alle anderen hatten Verständnis für seine kleine Weihnachtsschwäche. Was war auch schon dabei? Er wollte die Wohnung dekorieren, Weihnachtsplätzchen backen und einen Weihnachtsbaum aufstellen. Na ja, er wollte auch auf Weihnachtsmärkte gehen, vielleicht ein Weihnachtsoratorium besuchen,
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