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Kebabweihnacht

Kebabweihnacht

Titel: Kebabweihnacht
Autoren: Lale Akgün
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nicht erlaubt, was muslimisch und nicht-muslimisch sei. Und seine Familie hatte sich zu fügen. Erst veränderte sich sein eigenes Äußeres: Er ließ sich einen Vollbart stehen und kleidete sich so, dass Gleichgesinnte ihn sofort als ihresgleichen erkennen konnten. Hülya kämpfte nicht sehr lange, bis sie sich ein Kopftuch umband, sie hatte die meisten ihrer Träume begraben, warum also nicht auch noch ein Kopftuch. Ayla war so schlau, das Kopftuch von sich aus umzubinden, um sich dadurch viele Freiheiten zu erhalten. Das war klug gewesen, sie führte ihr altes Leben (fast) unverändert fort und log nur in den Fällen, wo es sich nicht umgehen ließ. Auch Umut vermied nach Möglichkeit die direkte Konfrontation, aber zur Weihnachtszeit ließ sie sich fast nicht umgehen.
     
    Gerade erzählte Ayla von einer Kommilitonin, die schwer erkrankt war.
    »Ist sie Türkin?«, fragte der Vater.
    Warum stellt er jetzt diese Frage, dachte Umut, wird sein Mitleid größer sein, wenn sie Türkin ist? Ist sie Türkin? Ist er Türke? Wozu immer diese Fragen?
    »Nein«, antwortete Ayla. »Du weißt doch, dass bei uns im Semester kaum Türkinnen sind!«
    »Trotzdem, gecmis olsun, gecmis olsun«, sagte der Vater, eine Redewendung, die immer kam, ganz gleich, ob jemand an Schnupfen erkrankt war oder |24| an Krebs, und die letztendlich bedeutungslos war: »Möge es vorbeigegangen sein!«
    »So ein junges Mädchen, und so eine schlimme Krankheit«, fügte jetzt die Mutter hinzu. »Aman, evlerden uzak!« Auch so eine Redewendung: »Möge es von unseren Häusern fernbleiben!«
    Umut war irgendwie sauer auf Ayla, weil sie Dinge erzählte, die niemanden interessierten und nur inhaltsleere Redewendungen hervorriefen. Aber vielleicht war es ihr Beitrag zur Aufrechterhaltung der Familienbalance.
    Unter diesen Umständen sah er es als seine Pflicht an, ebenfalls einen Beitrag zum Tischgespräch beizusteuern. »Heute sind wir Auszubildenden für die Weihnachtszeit eingeteilt worden«, erzählte er. »Es wird ein gutes Weihnachtsgeschäft erwartet dieses Jahr, und ich werde bis einschließlich Heiligabend arbeiten.«
    »Das müsste dir doch ausnehmend gut gefallen«, erwiderte sein Vater spitz. »Zilleri tak, oyna – Leg dir Schellen an und tanze –, jetzt kannst du dich ja richtig in dieses christliche Fest werfen. Aber mir soll es recht sein, dann hast du dich dort ausgetobt und kommst nicht auf den Gedanken, hier zu Hause christliche Feiern zu veranstalten wie in den letzten Jahren!«
    »Du scheinst dir deiner Religion ja nicht gerade sicher zu sein, wenn dir schon ein paar bunte Kugeln an einem Tannenzweig so viel Angst einjagen!«
    Umut wusste genau, dass er mit diesem Satz eine |25| Diskussion auslösen würde, die bis ins Grundsätzliche gehen würde, aber er konnte es verdammt noch mal nicht lassen. Sein Vater hatte angefangen.
    »O doch, junger Mann, ich bin mir meiner Religion sehr sicher, und weil ich so sicher bin und nicht zwischen Baum und Borke hänge wie andere Leute, will ich diesen Kram in meiner Wohnung nicht sehen!«
    »Ich weiß wirklich nicht, warum du und dein Imam so gegen das Weihnachtsfest wettert. Es wird doch die Geburt Christi gefeiert!«, sagte Umut.
    »Geburt Christi! Dass ich nicht lache!«, höhnte Arif. »Der Imam hat uns das genau erklärt, die Geburt Christi kann gar nicht am 24. Dezember gewesen sein. Nach dem Stand der Sterne muss er mitten im Sommer geboren sein. Die feiern das doch nur am 24. Dezember, weil die alten Germanen am 24. Dezember die Sonnenwende gefeiert haben, und dann wollten die christlichen Missionare den Germanen das Christentum schmackhaft machen, und deswegen haben sie die armen Germanen statt der Sonnenwende einfach Christi Geburt feiern lassen. Die armen Germanen, sie haben gar nicht gemerkt, wie sie reingelegt worden sind, aber so sind die christlichen Missionare, du merkst eben nicht, wie du reingelegt wirst – genau wie du jetzt nicht merkst, wie du reingelegt und missioniert wirst.« Arif war immer lauter geworden.
    »Aber ich werde doch gar nicht missioniert, ich finde das alles schön!« Umut versuchte sich zu rechtfertigen, |26| aber anscheinend war Arif auf das Argument vorbereitet gewesen, denn er griff es mit Vehemenz auf.
    »Genau das ist es doch! Dass du es schön findest! Denk doch mal nach, wenn du es noch kannst! Dieser ganze Klimbim mit Weihnachtsbaum und -kugeln wird doch nur veranstaltet, damit du das schön findest! Weihnachtsbaum! Dass ich nicht lache! Jesus ist
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