Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kebabweihnacht

Kebabweihnacht

Titel: Kebabweihnacht
Autoren: Lale Akgün
Vom Netzwerk:
seine Eltern, ihn zu verheiraten. Er hatte nichts dagegen, |20| wie allem anderen stand er auch diesem Vorschlag ziemlich gleichgültig gegenüber. Als ihm dann durch die Vermittlung einer Nachbarin die Bilder der zwanzigjährigen Hülya vorgelegt wurden, war er sofort mit der Verlobung einverstanden. Warum nicht Hülya, Arif spürte weder Sehnsucht noch Verlangen.
    Ein Jahr später waren sie verheiratet, und Hülya war ihm nach Deutschland gefolgt. Sie war anders als ihr Mann, sie hatte sogar Abitur gemacht in der kleinen Stadt, in der sie in Anatolien aufgewachsen war. Und sie hatte Träume. Von dieser Heirat hatte sie sich so viel erhofft! Nicht, dass sie Arif so toll fand, das sicher nicht, aber Arif war der Schlüssel nach Europa, zu Bildung, Weiterkommen, Karriere. Sie hatte sich vorgestellt, dass sie in Deutschland studieren, promovieren, ach, vielleicht sogar eine akademische Karriere absolvieren könne. Dass ihr zukünftiger Mann nicht mal Abitur hatte, störte sie nicht weiter, sie würde ihn unterstützen, ebenfalls weiterzukommen. Auch er würde studieren, und dann würden sie in die Türkei zurückkehren und gemeinsam an einer Universität unterrichten.
    All das ging ihr durch den Kopf, als ihre Eltern ihr die Fotos von dem farblosen jungen Mann vorlegten und sie fragten, ob sie sich vorstellen könne, ihn zu heiraten. »Warum nicht?«, hatte sie geantwortet. Er war genauso gut und genauso schlecht wie jeder andere, der ihr den erhofften Weg hätte ebnen können.
    |21| Und dann war sie nach der Hochzeit mit ihm nach Deutschland gekommen, und da war ihr das widerfahren, was man gemeinhin als Kulturschock bezeichnet. Das war nicht Europa, wo sie gelandet war! Das war nicht die Wiege der Zivilisation, die sie sich in ihren Phantasien vorgestellt hatte.
    Das Leben in Deutschland, die Ehe mit ihrem Mann, seine Familie, seine Freunde, der Stadtteil, in dem sie lebten, das war ja alles enger und kleinkarierter als in der Kleinstadt, in der sie aufgewachsen war.
    Sie hatte in der Schule deutsche Literatur gelesen und die Ideen der deutschen Philosophen studiert, doch hier, inmitten Deutschlands, wusste niemand etwas davon, ja, schlimmer: Niemand interessierte sich dafür. Die Moscheen und die Hochzeitssalons schienen die Treffpunkte zu sein, und dementsprechend waren auch die Themen.
    Die Konkurrenz zwischen den Moschee-Imamen, ihre Predigten, die Klatschgeschichten der Frauen, die Kinder füllten den Alltag. Hülya meinte zuerst zu ersticken, ihre Träume waren in unerreichbare Ferne gerückt, ein paar Mal versuchte sie ihre Pläne umzusetzen, aber bei einem Mann, der nicht einmal einen ordentlichen Beruf hatte, wie es sich erst jetzt herausstellte, stieß sie auf taube Ohren.
    Die Entscheidung, sich nach Deutschland zu verheiraten, war definitiv eine falsche gewesen. Es ging ihr hier viel schlechter als zu Hause in ihrer Kleinstadt in Anatolien. Ein paar Mal dachte sie an Scheidung, aber dann hätte sie in die Türkei zurückkehren |22| müssen, und das wollte sie auch nicht, denn so ganz hatte sie ihre Hoffnungen nicht begraben, Arif doch noch von der Richtigkeit ihrer Pläne zu überzeugen.
    Dann wurde sie schwanger, und ihre Hoffnungen richteten sich jetzt auf das Baby. Und als das kleine Mädchen geboren war, wusste sie, dass jetzt dieses Kind ihre Träume erfüllen würde. So war es auch gekommen: Ayla studierte nun an ihrer statt.
    Sie hatte die Intelligenz und den Ehrgeiz ihrer Mutter geerbt, und weil sie die Intelligenz ihrer Mutter geerbt hatte, versuchte sie ihr Leben so zu gestalten, dass sie weniger Schwierigkeiten hatte als ihr ebenfalls intelligenter, aber weniger flexibler Bruder, der nicht bereit war, gewisse Kompromisse einzugehen, wie zum Beispiel den inzwischen höchst religiös gewordenen Vater bei Laune zu halten.
    Ja, Arif hatte sich in den letzten Jahren ganz langsam verändert.
    Es fing damit an, dass er immer öfter in eine bestimmte Moschee ging, von der es hieß, sie wäre in den Händen von ziemlich konservativen Leuten. In der Nachbarschaft sprach man nicht schlecht über muslimische Gemeinden, auch wenn diese radikal waren.
    »Wir sind doch nur eine Handvoll Leute«, hieß es, »wir sollten uns nicht gegenseitig schlechtmachen.« Also sagte man lediglich, dass diese Moscheegemeinde ziemlich konservativ sei.
    Arifs Besuche in dieser Gemeinde blieben nicht |23| ohne Folgen, weder für ihn noch für seine Familie. Er führte neue Kategorien ein, was gut und böse, was erlaubt und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher