Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
 
EINFÜHRUNG ZUM ERSTEN TEIL
    Ich kannte mich damals mit Automobilen kaum aus - was übrigens bis heute nicht anders ist -, doch es war ein Automobil, mit dem ich im Herbst 1932 nach Taliesin gelangte, durch eine Landschaft, die mal mit Bäumen befestigt, mal wie ein Teppich bis zur Rückseite der Scheunen, Heuschober und Farmhäuser ausgerollt war, durch Ortschaften mit Namen wie Black Earth, Mazomanie oder Coon Rock, wo kein Mensch je einen Japaner zu Gesicht bekommen hatte. Oder einen Chinesen. Wenn ich anhielt, um zu tanken, ein Sandwich zu essen oder auf die Toilette zu gehen, hätte man meinen können, ein Marsmensch wäre erschienen und hätte sich auf dem Fahrersitz eines ganz normalen kanariengelben und pechschwarzen Stutz Bearcat Roadsters niedergelassen. (Was ist das überhaupt, eine »Bärenkatze«? Eine Art Hybridmonster aus dem Fundus eines Werbefachmanns wahrscheinlich, das brüllend die Straße mit seinen Tatzen bearbeitet, und genau das tat auch meines, wie angepriesen.) Die meisten Leute auf meiner Fahrt an jenem Tag, der zu heiß war für Oktober, zu still, zu klar, als wollte die Jahreszeit gar nicht mehr wechseln, gafften, bis sie es selbst bemerkten, und schauten dann weg, als wäre das, was sie gesehen hatten, nicht wirklich bei ihnen angekommen, nicht einmal als flüchtiges Bild auf der Netzhaut. Nur ein Mann - und ich mache ihm das nicht zum Vorwurf, denn er wusste es nicht besser, und ich hatte mich inzwischen daran gewöhnt - reagierte auf meine Hamburger Bestellung, indem er die Kinnlade einen halben Meter herunterklappen ließ und ausrief: »Heiliger Strohsack - Sie sind Chinese, stimmt’s?«
    Das Ganze wurde dadurch noch komplizierter, dass ich es nicht schaffte, das Verdeck zu schließen, weshalb mein Gesicht nicht nur der sengenden Sonne und einer gnadenlosen Kanonade von Staub, Hühnerfedern und pulverisiertem Dung ausgesetzt war, sondern auch dem Glotzen jedes einzelnen phlegmatischen Einheimischen, den ich auf dem Weg durch Wisconsin passierte. Die Radfurchen waren eine Plage, die Schlaglöcher Pfuhle voll verfärbtem Wasser, das alle zwanzig Meter geysirartig in die Höhe spritzte. Und dann die Insekten: Noch nie im Leben hatte ich so viele Insekten gesehen - als wäre die Urzeugung eine Tatsache und die Erde würfe sie einfach aus, wie Pollenkörner, zahllos wie Sand oder Staub. Sie zerplatzten auf der Windschutzscheibe zu leuchtenden Klecksen aus Flüssigkeit und festen Stoffen, bis ich die Straße kaum mehr erkennen konnte. Und überall die ziellos herumlaufenden Farmhunde, die umherirrenden Gänse, desorientierten Schweine und selbstmörderischen Kühe - ein Hindernis nach dem anderen tauchte unvermittelt in meinem Blickfeld auf, bis ich schließlich vor jeder Kurve, jeder Kreuzung innerlich erstarrte. Ich muss an hundert Farmwagen vorbeigefahren sein. An tausend Feldern. Unzähligen Bäumen. Ich klammerte mich am Lenkrad fest und biss die Zähne zusammen.
    Drei Tage zuvor hatte ich meinen fünfundzwanzigsten Geburtstag gefeiert - allein, im Nachtzug vom Grand Central Terminal zur Union Station in Chicago, in meinem Koffer ein Gratulationstelegramm meines Vaters sowie meine abgegriffenen Wendingen-Hefte, den Band Ausgeführte Bauten und Entwürfe von Frank Lloyd Wright und einige neue Kleidungsstücke, die mir, wie ich glaubte, im Hinterland würden nützlich sein können, Blue Jeans, Freizeithemden und ähnliches mehr. Ich hatte mir noch nicht einmal die Mühe gemacht, sie auszupacken. Für mich hatte diese Expedition rituellen Charakter und verlangte nach Gesellschaftskleidung und förmlichem Verhalten, trotz der Unbilden der Fahrt und der nur als ungeordnet zu bezeichnenden Zustände auf dem Land. Mein gekämmtes - und wegen des daran reißenden Windes immer wieder aufs neue gekämmtes - Haar war ein seidig glänzendes, pomadisiertes Muster an Form und Gestaltung, und ich trug meinen besten Anzug, einen neuen Kragen und eine Krawatte, die ich eigens für diesen Anlass ausgesucht hatte. Schutzbrille und Mütze waren mir nicht nötig erschienen, doch hatte ich mir bei Marshall Field’s ein Paar Autohandschuhe besorgt (taubengraue, aus Ziegenleder) und dazu einen weißen Seidenschal, den ich im Geiste hatte fröhlich im Wind flattern sehen, der sich tatsächlich dann aber in schweißtreibendem Würgegriff um meinen Hals gewickelt hatte, ehe ich auch nur fünfzehn Kilometer weit gefahren war.
    Ich drückte das Rückgrat durch, hielt mit der einen Hand das Lenkrad, mit der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher