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Kebabweihnacht

Kebabweihnacht

Titel: Kebabweihnacht
Autoren: Lale Akgün
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Nikolaus und Heiligabend feiern, mit Geschenken und so, und dann ein paar Weihnachtslieder singen.
    Er musste selber lächeln, als er feststellte, was er alles wollte. Eigentlich wollte er das ganze Programm. Was war falsch dran?
    Manches davon wurde in der ganzen Familie verwirklicht.
    Seine Oma schenkte allen Kindern einen Adventskalender, als Mitbringsel sozusagen. Nicht von der teuersten Sorte, aber dafür immer wieder. Und da Oma zu den weniger Zwanghaften dieser Gesellschaft gehörte, sah sie auch gar nicht ein, warum man nur einen Adventskalender haben oder nur ein Türchen pro Tag aufmachen dürfe.
    Wenn ihre Enkel Mitte Dezember beim vierten Adventskalender mit den Worten »Oma, du hast mir doch schon drei Adventskalender geschenkt« protestierten, |30| zuckte sie mit den Schultern und erwiderte: »Na und? Es macht doch Spaß, die Schokolade aus den Türchen zu pulen, oder?« Womit sie ohne Zweifel recht hatte.
    Sie besaß einen abscheulichen Plastikbaum, den sie jedes Jahr aufstellte. Es müsse ein bisschen Licht in die dunkle Jahreszeit gebracht werden, sagte sie dann.
    Damit war sie in guter türkischer Gesellschaft, übrigens nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Türkei. Umut musste grinsen, als er an die Reise vor zwei Jahren zurückdachte, die sein Vater unternommen hatte, um sie in eine »weihnachtsfreie Zone« zu führen.
    Dass alle Einkaufszentren mit Weihnachtsbäumen geschmückt waren, mit Geschenkpaketen, bei denen die Farben Rot und Grün dominierten, dass ihm überall Weihnachtmänner mit Hohoho-Rufen und Glocken in der Hand entgegenkamen, dass sich die Passanten genüsslich neben sie stellten, um sich mit ihnen fotografieren zu lassen – das hätte er vielleicht noch als Kommerz durchgehen lassen, aber es kam noch viel besser. Bei allen Verwandtenbesuchen zeigte sich das gleiche Bild: In jeder Wohnung stand ein künstlicher Weihnachtsbaum, elektrisch beleuchtet. Und bei vielen Verwandten waren Krippen aufgebaut. Sein Vater, mit den diversen Weihnachtssitten nicht vertraut, hatte erst gar nicht verstanden, was das sein sollte. Kichernd hatten die Kinder ihm erklärt, dass die Krippe eine südeuropäische Sitte sei |31| und in der Türkei sowohl der Tannenbaum des Nordens als auch die Krippe des Südens Einzug gehalten hätten.
    Mein Gott! Nicht nur ein unschuldiger Tannenbaum, sondern die Heilige Familie mit den Heiligen Drei Königen. Christlicher ging es ja gar nicht mehr! Auf die entsetzte Frage seines Vaters, warum sie das aufstellen würden, zuckten alle mit den Schultern und gaben die gleiche Antwort: »Weil es schön ist!«
    Nachdem es auch im Hotel weihnachtlicher zuging als in Deutschland, trat man den Rückweg an, wobei Arif sagte, auch in der Türkei habe die Missionstätigkeit bestimmter christlicher Sekten stark zugenommen. Mit dieser Meinung stand er in der Familie allerdings ziemlich allein da. Seine alte Mutter, die längst auch in der großen deutschen Stadt lebte, machte sich lustig über ihn, indem sie frech fragte, wie man mit Tannenzapfen und Plastikbäumen jemanden missionieren könne.
    »Frag doch mal deinen Imam«, sagte sie, während sie sich genüsslich ein Stück Schokolade aus ihrem Adventskalender in den Mund schob, »wie man mit Blechkugeln jemanden missionieren kann. Also ich für meinen Teil weiß, dass ich muslimisch bin!«
    Umuts Onkel und Tante, die auch in der Stadt lebten, kauften sich einen echten Baum, den seine Tante mit mindestens fünf Kilogramm Süßigkeiten behängte, nur um das Zeug sofort wieder abzuessen. Sein Onkel fragte seine Tante jedes Jahr, warum sie die Süßigkeiten nicht direkt essen würde, das wäre |32| doch viel praktischer, als sie zuerst an den Baum zu hängen und von dort zu essen. Zumal die eigentliche Tradition des Baumplünderns ab dem 6. Januar einsetzte, sie aber praktisch sofort damit anfangen würde. Aber die Tante erwiderte, das sei die von ihr erschaffene Tradition, den Weihnachtsbaum zu schmücken und Weihnachten zu feiern. Außerdem würde sie zwischendurch für Nachschub sorgen, wenn der Baum drohe, kahl zu werden. Alle nahmen es mit Humor, außer Umuts Vater.
    Umut selbst ging es nicht nur um die äußere Dekoration. Weihnachten löste bei ihm ein unglaubliches Gefühl der Geborgenheit aus. Weihnachten war seine Möglichkeit, Heimat zu erleben. Was wussten die anderen von seinen Gefühlen? Von den Gefühlen eines Menschen, dem ein Stück Normalität vorenthalten wurde. Der nicht dort zu Hause sein durfte, wo
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