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Machen Sie sich frei Herr Doktor!

Machen Sie sich frei Herr Doktor!

Titel: Machen Sie sich frei Herr Doktor!
Autoren: Richard Gordon
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    »Majestät-«
    Sir Lionel Lychfield, Dean des St.-Swithin-Spitals, verbeugte sich ehrerbietig und ausdauernd, bis sein Oberkörper fast den Boden berührte. Sein Gesichtsausdruck - den er tief durchdacht und sehr genau einstudiert hatte - sollte gleichzeitig Loyalität ohne Schmeichelei ausdrücken, Bescheidenheit ohne Servilität, Höflichkeit ohne Liebedienerei und die Selbstsicherheit des Engländers ohne einen Anflug von Impertinenz. Der Dean kam sich wie Sir Walter Raleigh vor, als dieser seinen Mantel für die Königin über den Schmutz breitete, glich jedoch, da er ein kleiner Mann mit kahlem spitzem Eierkopf war, eher einem Gartenzwerg, dem ein Rasenmäher in den Rücken stößt.
    »Als Dean der medizinischen Schule von St. Swithin habe ich heute die große Ehre und die angenehme Pflicht, Eurer Majestät untertänigst diesen goldenen Schlüssel zu überreichen, damit Eure Majestät dieses prächtige neue Spitalsgebäude, diese großartige, den höchsten Idealen der Menschheit gewidmete Leistung der Architektur allergnädigst eröffne.«
    Der Dean beugte sich noch etwas tiefer über seine ausgestreckten Hände, so daß er in Gefahr geriet, auf die königlichen Füße zu fallen.
    »Wir in St. Swithin, Majestät, sind stolz auf unsere ununterbrochene Tradition aufopfernder Arbeit für die Kranken, die wir hier im Norden Londons seit Ende des 16. Jahrhunderts leisten. Das Original des königlichen Stiftbriefes, noch immer in der Gründerhalle zu sehen, die von Inigo Jones erbaut worden sein soll, wurde dem Krankenhaus von einem Vorfahren Eurer Majestät, Königin Elisabeth I., überreicht. In Liedern und Geschichten priesen die loyalen Untertanen Eurer Majestät unser glorreiches Erbe der Tradition, oh, zum Teufel.«
    Es war die Stimme seiner Frau, die den Dean zu diesem ärgerlichen Ausruf veranlaßte. »Ja?« rief er zurück, »was ist los?«
    »Du hast Besuch, Lionel.«
    »Was, um diese Zeit? Es ist ja kaum sieben Uhr, und ich bin noch im Badezimmer. Soll denn ein Mensch nicht einmal das Recht auf eine ungestörte Morgentoilette haben?« Er stand, noch immer in vorgebeugter Stellung, auf einer Spitalswaage und war, abgesehen von einer vergoldeten wasserdichten Armbanduhr und einer großen Brille in Metallrahmen, splitternackt. »Was für ein Besuch?«
    »Der Spitalsgeistliche, Liebling.«
    »Du lieber Gott«, murmelte er unzutreffend, wenn auch schmeichelhaft.
    Der Dean richtete sich auf. Schließlich war er Arzt und sein Geist geschult, die dunkelsten diagnostischen Winkel der Spitalssäle in Sekundenschnelle zu durchleuchten. Daher war er auch sofort im Bild, was der Anlaß dieses frühen Besuches an einem sommerlichen Donnerstagmorgen sein könnte: In der Nacht war eine Persönlichkeit von nationaler Bedeutung in einem der Privatkrankenzimmer verschieden.
    Oder ein Patient saß im Pyjama auf einem Fensterbrett des zwanzigsten Stockes und drohte hinunterzuspringen. Oder die Studenten hatten schon wieder das Motorboot des Spitalsgeistlichen auf das Dach der Kapelle gestellt. Oder es war wieder der Streit mit dem römisch-katholischen Priester über die Qualität des Fisches, der den Patienten am Freitagabend serviert wurde, aufgeflammt. Oder der Kaplan kam, um den Dean zu bitten, am nächsten Sonntag in der Kapelle des Krankenhauses die Predigt zu lesen. Oder er brauchte Geld für wohltätige Zwecke. Alle diese Möglichkeiten fand der Dean höchst widerwärtig.
    »Und ich habe noch keinen Bissen gefrühstückt«, beklagte er sich im stillen, während er einen gelbseidenen Morgenrock anzog und seine Füße in ein Paar rotkarierte Pantoffeln steckte. »Als wäre meine Verantwortung, für das körperliche Wohl der Patienten zu sorgen, nicht groß genug. Der verdammte Kerl könnte wenigstens für ihr Seelenheil sorgen, ohne mich in aller Herrgottsfrühe zu belästigen.« Laut sagte er: »Gut, gut. Ich komme.«
    Er eilte hinunter. Sein Haus, groß und hübsch, in einem etwas vagen Georgianischen Stil erbaut, schloß unmittelbar an die alte Mauer von St. Swithin an und war das mittlere von drei gleichartigen Häusern. Man hatte sie vor kurzem auf dem Platz der ehemaligen Infektionsabteilung errichtet; mit der Entdeckung der Antibiotika war sie überflüssig geworden. Die drei Häuser wurden an verdiente Mitglieder des Professorenkollegiums vermietet, um diese in dringenden Fällen bei der Hand zu haben. Der außerordentlich sparsame Dean wußte die billige Miete zu schätzen, es irritierte ihn jedoch, daß die
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