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Kalte Herzen

Kalte Herzen

Titel: Kalte Herzen
Autoren: Tess Gerritsen
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und drückte die Klinge auf die Haut.
    Tu es!
    Mark schnitt. Es war ein langer, geschwungener Schnitt. Die Haut teilte sich, Blut quoll heraus und tropfte auf die sterile Abdeckung.
    Tarasoff entspannte sich. Hodell würde am Ende doch nicht zum Problem werden. Tatsächlich hatte er die Linie schon vor Jahren überschritten, als junger angehender Chirurg. Eine durchzechte Nacht, ein Paar Nasen Kokain, am nächsten Morgen ein fremdes Bett und eine hübsche Schwesternschülerin erdrosselt neben ihm auf dem Kissen. Und Hodell hatte keine Erinnerung an das, was tatsächlich geschehen war. Alles war sehr überzeugend gewesen.
    Und dann war da das Geld, um die Rekrutierung zu zementieren.
    Zuckerbrot und Peitsche. Es funktionierte so gut wie immer.
    Es hatte bei Archer, Zwick und Mohandas funktioniert. Und auch bei Aaron Levi, jedenfalls für eine Weile. Sie waren eine geschlossene Gesellschaft gewesen, absolut hermetisch, was ihre Geheimnisse betraf – und ihre Gewinne. Niemand am Bayside, weder Colin Wettig noch Jeremiah Parr, hatte auch nur den Schimmer einer Ahnung, wieviel Geld die Hand gewechselt hatte. Es war genug, um die allerbesten Ärzte zu kaufen, das allerbeste Team – ein Team, das Tarasoff zusammengestellt hatte. Die Russen besorgten bloß die Teile und erledigten, wenn nötig, die Drecksarbeit. Im OP war es das Team, das die Wunder wirkte.
    Geld allein hatte Aaron Levi am Ende nicht bei der Stange gehalten. Aber Hodell gehörte immer noch dazu. Er bewies es in diesem Moment mit jedem Schnitt seines Skalpells.
    Tarasoff assistierte, setzte Wundhaken und Klemmen. Es war ein Genuß, an so jungem, gesundem Gewebe zu arbeiten. Die Frau war in ausgezeichneter Verfassung. Sie hatte kaum Fett unter der Haut, und ihre Bauchmuskeln waren flach und fest – so fest, daß der Anästhesist zusätzliches Succinylcholin spritzen mußte, um die Retraktion zu erleichtern.
    Die Klinge des Skalpells durchstieß die Muskelschicht. Jetzt waren sie in der Bauchhöhle. Tarasoff zog die Wundhaken auseinander. Unter einem dünnen Schleier aus Peritonealgewebe schimmerten die Leber und die Windungen des Dünndarms.
    Alles gesund, so gesund! Der menschliche Organismus war ein wunderbarer Anblick.
    Die Lichter flackerten und gingen beinahe ganz aus.
    »Was ist los?« fragte Hodell.
    Beide blickten auf. Die Lampen leuchteten wieder mit voller Leistung.
    »Bloß ein Wackelkontakt«, meinte Tarasoff. »Der Generator arbeitet noch, wie man hört.«
    »Nicht gerade optimale Bedingungen. Ein schwankendes Schiff und Stromausfall …«
    »Es ist ja nur vorübergehend, bis wir Ersatz für das Amity-Gebäude gefunden haben.« Tarasoff deutete Richtung OP-Tisch.
    »Machen Sie weiter.«
    Hodell hob sein Skalpell und zögerte. Er war als Thoraxchirurg ausgebildet, eine Leberentnahme hatte er nur selten durchgeführt.
    Vielleicht brauchte er weitere Anweisungen. Vielleicht dämmerte ihm aber auch langsam, was er da eigentlich tat.
    »Haben Sie ein Problem?« fragte Tarasoff.
    »Nein.« Mark schluckte. Er fing erneut an zu schneiden, doch seine Hand zitterte. Er setzte das Skalpell ab und atmete ein paarmal tief durch.
    »Wir haben nicht mehr viel Zeit, Dr. Hodell. Es wartet noch eine weitere Organentnahme auf uns.«
    »Es ist nur … ist es nicht sehr heiß hier drinnen?«
    »Ist mir noch nicht aufgefallen. Machen Sie weiter.«
    Hodell nickte, packte das Skalpell fester und war im Begriff, einen weiteren Schnitt vorzunehmen, als er plötzlich erstarrte.
    Tarasoff hörte ein Geräusch hinter sich, das Zufallen der Tür.
    Mark starrte weiter geradeaus und hob das Skalpell. Die Explosion schien mitten in seinem Gesicht loszugehen.
    Hodells Kopf schleuderte nach hinten, Blut und Knochensplitter spritzten über den Operationstisch.
    Tarasoff wirbelte herum und sah gerade noch einen blonden Haarschopf und das weiße Gesicht des Jungen.
    Die Pistole ging erneut los.
    Die Kugel verfehlte ihr Ziel und zerschlug eine Glastür im Instrumentenschrank, Scherben prasselten zu Boden.
    Der Anästhesist war hinter dem Beatmungsgerät in Deckung gegangen.
    Tarasoff versuchte, sich vorsichtig zurückzuziehen, ohne die Pistole auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen. Es war Gregors Waffe, so kompakt und leicht, daß ein Kind sie halten konnte. Doch die Hand, die diese Pistole umklammerte, zitterte zu sehr, um gezielt zu feuern. Es ist nur ein Kind, dachte Tarasoff. Ein verängstigter Junge, dessen Arm unentschlossen zwischen Tarasoff und dem Anästhesisten hin
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