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Kalte Herzen

Kalte Herzen

Titel: Kalte Herzen
Autoren: Tess Gerritsen
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anziehen. Ein Tropfen rann über ihre Schläfe. Die Anstrengung, sich zu bewegen, hatte sie ins Schwitzen gebracht.
    Die Anstrengung, die Kontrolle über ihren Körper zurückzugewinnen. Die Uhr an der Wand zeigte Viertel nach elf.
    Tarasoff hatte ein Tablett mit Spritzen ausgelegt. Als er hörte, wie eine Tür auf- und wieder zuging, drehte er sich um. »Der Junge ist abgehauen«, informierte er. »Sie fangen ihn gerade ein. Also machen wir zuerst die Leber.«
    Schritte näherten sich dem Tisch. Ein neues Gesicht tauchte auf und blickte Abby an.
    So oft schon hatte sie über den OP-Tisch hinweg in dieses Gesicht geblickt. So oft schon hatten diese Augen über der OP-Maske sie angelächelt. Jetzt lächelten sie nicht.
    Nein, schluchzte sie, aber man hörte nur den leisen Luftstrom durch den Trachealtubus. Nein! Es war Mark.

Fünfundzwanzig
    G regor wußte, daß nur ein Weg aus dem Achterdeck hinausführte, die blaue Tür, und die war verschlossen. Der Junge mußte die Wendeltreppe genommen haben.
    Der Mann blickte die Stufen hinauf, doch er sah nur bizarre Schatten. Er begann seinen Aufstieg über die klapprige Treppe, die unter seinem Gewicht ächzte. Die Stelle an seinem Arm, wo der Junge ihn gebissen hatte, pochte noch immer. Der kleine Mistkerl. Er war der einzige, der von Anfang an Schwierigkeiten gemacht hatte.
    Gregor erreichte die nächste Ebene und betrat den dicken Teppichboden. Hier lagen die Quartiere des Chirurgen und seines Assistenten. Achtern waren zwei Privatkabinen mit einem gemeinsamen Vorraum und einer Dusche. Am vorderen Ende lag ein gutausgestatteter Salon. Der einzige Weg aus diesem Teil des Schiffes führte zurück über die Treppe. Der Junge saß in der Falle.
    Gregor wandte sich zuerst nach hinten.
    Die erste Kabine war die des toten Chirurgen. Sie roch nach Tabak. Er schaltete das Licht ein und sah ein ungemachtes Bett, einen Spind, dessen Tür offenstand, und einen überquellenden Aschenbecher auf dem Tisch. Gregor trat zu dem Spind hinüber.
    Darin fand er Kleider, die nach Rauch stanken, eine leere Wodkaflasche und einen Stapel Pornohefte. Keinen Jungen.
    Als nächstes durchsuchte Gregor die Kabine des Assistenten.
    Sie war um einiges ordentlicher, das Bett gemacht, die Hemden im Spind sorgfältig gefaltet. Auch hier keine Spur von dem Jungen.
    Er warf noch einen Blick in den Vorraum und machte sich dann auf den Weg in den Salon. Noch bevor er dort ankam, hörte er ein Geräusch: ein gedämpftes Wimmern.
    Er betrat den Salon und schaltete das Licht ein. Rasch ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen, über die Couch, den Eßtisch, die Stühle und den Fernseher mit den darauf gestapelten Videokassetten. Wo war der Junge? Gregor schritt das Zimmer ab, blieb plötzlich stehen und starrte auf die Wand.
    Der Speiseaufzug.
    Er stürzte dorthin und riß dessen Tür auf. Aber er sah nichts als Kabel. Er schlug auf den Knopf, und die Kabel setzten sich knarrend in Bewegung, um ihre Last hinaufzubringen. Gregor beugte sich sprungbereit vor, um nach dem Jungen zu greifen.
    Doch statt dessen starrte er in den leeren Speiseaufzug. Der Junge war bereits in die Kombüse entwischt. Das war keine Katastrophe, die Kombüse war ebenfalls gesichert. Gregor hatte sich zur Gewohnheit gemacht, sie abends abzuschließen, nachdem er entdeckt hatte, daß die Mannschaft sich an den Vorräten bediente. Der Junge saß noch immer in der Falle.
    Gregor hastete die Treppe hinunter, durch die blaue Tür und über den Steg.
    »Es tut mir leid, Abby«, sagte Mark. »Ich hätte nie gedacht, daß es so weit kommen würde.«
    Bitte, dachte sie. Bitte tu das nicht!
    »Wenn es nur eine andere Möglichkeit gäbe!« Er schüttelte den Kopf. »Du warst zu hartnäckig. Ich konnte dich nicht aufhalten. Ich hatte dich nicht unter Kontrolle.«
    Eine Träne löste sich von ihrem Auge und tropfte in ihr Haar.
    Für einen Moment glaubte sie Schmerz über sein Gesicht ziehen zu sehen. Er wandte sich ab.
    »Es wird Zeit«, forderte Tarasoff Mark auf. »Wollen Sie ihr die Ehre erweisen?« Er hielt Mark eine Spritze hin. »Betäuben Sie sie mit Pentobarbital. Wir sind schließlich keine Unmenschen.«
    Mark zögerte. Dann nahm er die Spritze und drehte sich zu dem Infusionshalter um. Er nahm die Schutzkappe von der Nadel und stach sie in die Injektionsöffnung. Erneut zögerte er und sah Abby an.
    Ich habe dich geliebt, dachte sie. Ich habe dich so sehr geliebt.
    Er drückte den Kolben herunter.
    Die Lichter begannen schwächer zu
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