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Judith McNaught

Judith McNaught

Titel: Judith McNaught
Autoren: Legenden der Liebe
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gefahren, in einem Wagen, der mit allen mög
lichen Handelswaren beladen war, von Pelzen und Parfüm bis hin zu Eisentöpfen
und Mistgabeln, Luxus- und Gebrauchsgegenstände, die er in den Farmen und
Hütten, die auf ihrer Reiseroute lagen, verkaufte oder tauschte.
    Ihre Reiseroute legten sie spontan
und nach Gutdünken fest – für gewöhnlich fuhren sie im Winter an der Ostküste
entlang Richtung Süden und im Sommer in den Norden. Manchmal fuhren sie auch
nach Westen, wenn ein besoders großartiger Sonnenuntergang lockte, oder sie
wandten sich auch nach Südwesten, weil gerade ein gurgelnder Fluß in dieser
Richtung verlief. Im Winter, wenn der Schnee die Weiterreise schwer oder
unmöglich machte, gab es immer einen Farmer oder Ladenbesitzer, der Bedarf an
zusätzlichen Aushilfskräften hatte, und ihr irischer Vater ließ sich seine
Arbeit mit kostenloser Unterkunft für ein paar Nächte bezahlen.
    Deshalb hatte Sheridan, als sie
zwölf Jahre alt war, schon überall geschlafen – auf einer Decke in einem
Heuschober genauso wie in einem Federbett in einem Haus voller fröhlich lachender
Damen, die Satinkleider in lebhaften Farben und mit so tiefen Ausschnitten
trugen, daß ihnen fast die Brüste herausfielen. Aber ob nun die Hausherrin in
ihren Unterkünften eine kräftige Farmersfrau, eine strengblickende
Predigersgattin oder eine Dame in purpurrotem Satin mit schwarzen Federn war,
am Ende umschmeichelten alle Gastgeberinnen Vater Patrick und wachten
mütterlich über Sheridan. Bezaubert von seinem unerschütterlichen Lächeln, seiner
untadeligen Höflichkeit und seiner Bereitschaft, hart und ausdauernd für
Unterkunft und Verpflegung zu arbeiten, begannen die Damen bald damit, extra
große Portionen für ihn zu kochen, seine Lieblingssüßspeise zuzubereiten und
seine Wäsche zu flicken.
    Ihr Wohlwollen erstreckte sich auch
auf Sheridan. Sie neckten sie liebevoll wegen ihres dicken, leuchtendroten
Haars und lachten, wenn ihr Vater sie »meine kleine Karotte« nannte. Sie ließen
sie auf einem Stuhl stehen, wenn sie freiwillig anbot, beim Abwasch zu helfen,
und wenn sie am Ende wieder fortfuhren, schenkten sie ihr Stoffreste oder kostbare Nadeln, damit sie für ihre Puppe Amanda
eine neue Decke oder ein Kleid nähen konnte. Sheridan umarmte sie und sagte,
sie und Amanda dankten ihnen sehr, und sie lächelten, weil sie wußten, daß sie
es auch so meinte. Sie küßten sie zum Abschied und flüsterten ihr zu, sie
würde eines Tages eine sehr schöne Frau werden, und Sheridan lachte, weil sie
glaubte, daß sie das unmöglich ernst meinen konnten. Dann sahen sie zu, wie
Sheridan und ihr Papa in ihrem Wagen wegfuhren, winkten ihnen nach und riefen
»Mit Gottes Segen« und »Kommt bald wieder«.
    Manchmal erwarteten die Leute, bei
denen sie wohnten, daß ihr Vater einer ihrer Töchter oder der Tochter des Nachbarn
den Hof machte und sich hier niederließ, und dann blieb zwar das Lächeln auf
seinem gutaussehenden irischen Gesicht, seine Augen jedoch verdunkelten sich,
wenn er sagte: »Ich danke Ihnen, aber es geht nicht. Das wäre Bigamie, denn
Sheridans Mama lebt immer noch in meinem Herzen.«
    Nur wenn er über
Sheridans Mama redete, erlosch das Lächeln in seinen Augen, und Sheridan
verkrampfte sich, bis er wieder wie vorher war. Noch Monate, nachdem ihre Mama
und ihr kleiner Bruder an einer Krankheit, die Influenza hieß, gestorben
waren, hatte Papa sich wie ein stummer Fremder benommen, hatte in ihrer
winzigen Hütte neben dem Feuer gesessen, Whisky getrunken und sich weder darum
geschert, daß die Ernte auf dem Feld verfaulte, noch neu gesät. Er redete
nicht, rasierte sich nicht, aß kaum etwas, und es schien ihm egal zu sein, ob
ihr Maulesel Hunger hatte oder nicht. Sheridan war damals sechs Jahre alt, aber
bereits daran gewöhnt, ihrer Mama zu helfen; daher versuchte sie, deren
Pflichten zu übernehmen.
    Ihr Vater schien
von Sheridans Bemühungen genausowenig zu bemerken wie von ihren Mißgeschicken
und ihrem Kummer. Dann, eines schicksalhaften Tages, verbrannte sie sich den
Arm, als sie für ihn Eier braten wollte. Sie versuchte, die Tränen über die
Schmerzen in ihrem Arm ebenso wie die Schmerzen in ihrem Herzen zu unterdrücken
und ging mit der Wäsche und einem Stückchen übriggebliebener Laugenseife zum
Fluß. Als sie sich ans Ufer kniete und vorsichtig das Flanellhemd ihres Vaters
ins Wasser tauchte, überfiel sie die Erinnerung an die glücklichen Zeiten, die
sie an dieser Stelle verbracht hatte. Sie
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