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Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)

Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)

Titel: Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)
Autoren: Kim Paffenroth
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Kapitel 1
    Es ist schon komisch, woran wir uns erinnern, aber noch komischer, woran wir glauben, uns zu erinnern, ohne uns je ganz sicher zu sein. Ich habe meine Eltern und andere Leute schon unzählige Male nach Dingen gefragt, an die ich mich zu erinnern glaube – ein Ort, an dem wir gewesen sind, eine Sommernacht am Fluss, den Hund oder die Katze eines Nachbarn –, aber ich kann mich nie genau daran erinnern, wer diese Menschen sind oder wie alt ich zu jenem Zeitpunkt war, oder mir fehlt irgendein anderes Detail. Ich erzähle ihnen immer alles, was ich noch weiß: was wir anhatten, wie das Wetter war oder wonach es gerochen hat – ich glaube, an Gerüche kann ich mich immer besonders lebendig und zuverlässig erinnern –, aber sie schütteln nur den Kopf und sagen, es tue ihnen leid, sie erinnerten sich auch nicht. Es ist aber nicht nur die Tatsache, dass sie sich nicht an die Einzelheiten erinnern können, die auch mir fehlen – für sie existiert die komplette Szene nicht mehr, nicht einmal das, was ich ihnen beschrieben habe.
    Manchmal lachen sie auch nur und behaupten, das sei eben einer dieser komischen Streiche, die unser Verstand uns spielt, aber sie meinen damit nicht nur komisch im Sinne von seltsam oder merkwürdig, sie finden es wirklich lustig und zum Lachen. Ich weiß, dass sie es gut meinen, aber ich finde es überhaupt nicht lustig, weil ich weiß, wie sehr unsere Erinnerungen uns zu dem Menschen machen, der wir sind, dass wir uns durch sie von anderen unterscheiden und dass sie uns traurig oder glücklich machen. Mit Erinnerungen verhält es sich so komisch, dass es mich manchmal richtig wütend macht, weil ich nicht ändern kann, woran ich mich erinnere, und schon gar nicht, woran ich mich nicht erinnere oder was ich noch nie wusste. Ich kann mir nicht aussuchen, was in welche Kategorie fällt, genauso wenig wie alle anderen, es sei denn, sie belügen sich freiwillig, was mir einfach nur schrecklich und entmenschlichend erscheint. Ich werde mich nie mit dieser Willkür der Erinnerungen anfreunden – und sie auch ganz sicher nie zum Lachen finden –, denn sie ist furchtbar ungerecht und hat vielen Menschen, die ich kenne, sehr wehgetan.
    Die älteren Menschen erinnern sich an die Welt, wie sie einst war, und diese Erinnerung ist meist sehr schmerzhaft für sie. Dort gehören sie eigentlich hin, und all das hier ist für sie nur die elende zweite Hälfte ihres Daseins, ein Exil an einem seltsamen, schrecklichen Ort, durch den sie sich nur noch schleppen, hauptsächlich unseretwegen, denke ich, den jüngeren Menschen wie mich. Und auch wenn wir ihren offensichtlichen Schmerz sehen und sie einfach nur festhalten, sie lieben und ihnen diesen Schmerz nehmen möchten, können wir doch nichts für sie tun, denn diese Bürde ist nicht die unsere und wir werden sie auch niemals ganz verstehen. Obwohl sie mit ansehen mussten, wie Hunderte oder Tausende von Menschen in schreiende, blutende Fleischstücke zerrissen wurden – eine Erinnerung, von der die Jüngeren unter uns verschont blieben –, sind es doch die Erinnerungen aus der Zeit vor all diesem Grauen, die sie wirklich von uns trennen. Wir wissen nicht, wie ein »echter« Sanfter Engel schmeckt, was einen »echten« 4. Juli ausmacht oder ein »echtes« Weihnachten von denen unterscheidet, die wir heute feiern, und wir kennen auch keines der Tausenden von anderen Dingen, an die sie sich mit sehnsüchtigem Kopfschütteln erinnern, während wir sie nur anschauen, die Augen schließen und uns wünschen, wir könnten sie genug lieben, damit sie all das vergessen. Aber das tun sie nicht, und wir können es nicht. Und ich kann überhaupt nichts Lustiges an Erinnerungen finden, die Menschen auf diese Weise voneinander trennen.
    Auch meine Mom und mein Dad – sie heißen Sarah und Jack – haben diese Erinnerungen, genau wie alle älteren Menschen, wie Jonah und Tanya, die ich »Onkel« und »Tante« nannte, als ich noch viel jünger war, und später, als ich etwas älter wurde, »Mr. Caine« und »Miss Wright«. Ich sage nicht gern, dass Mom und Dad nicht meine »echten« Eltern sind, auch wenn manche Leute es so ausdrücken. Ihre Liebe war immer vollkommen echt für mich, genauso echt oder überwältigend wie Hunger und Durst oder wie der Tod selbst, und ich würde niemals irgendetwas sagen, das diese Tatsache schmälert. Ich meine damit nur, dass sie nicht meine biologischen Eltern sind. Meine biologischen Eltern starben lange vor dem Zeitpunkt, an
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