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Judith McNaught

Judith McNaught

Titel: Judith McNaught
Autoren: Legenden der Liebe
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»Jetzt«, sagte er in seiner abgehackten, befehlenden Art zu sprechen,
»du singst ein Lied.«
    Mittlerweile war Sheridan schon so
daran gewöhnt, an Lagerfeuern zu sitzen und mit Freunden zu singen, wie sie
daran gewöhnt war, mit ihnen zu sprechen. Also sang sie ein irisches Lied, das
Papa ihr beigebracht hatte, über einen jungen Mann, der seine Geliebte verlor.
Als sie zu der Stelle kam, wo der junge Mann in seinem Herzen um seine wunderschöne
Geliebte weint, gab Schlafender Hund ein ersticktes Geräusch von sich, eine
Mischung aus Grunzen und Lachen. Ein rascher Blick über das Feuer hinweg auf
sein abweisendes Gesicht zeigte ihr, daß sie richtig gehört hatte, und dieses
Mal brach Sheridan mitten im Ton ab.
    »Weinen«, informierte sie der
Indianer in hochmütigem Tonfall und zeigte mit dem Finger auf sie, »ist etwas
für Frauen.«
    »Oh«, erwiderte sie leicht
verärgert, »ich glaube, irische Männer sind da, nun ja, anders, denn in dem
Lied heißt es, er weint, und Papa hat's mir beigebracht, und er ist Ire.« Um Bestätigung
heischend blickte sie ihren Vater an und fuhr zögernd fort: »Männer aus der
alten Welt weinen, nicht wahr, Papa?«
    Ihr Vater schüttete den Bodensatz
seines Kaffees ins Feuer und erwiderte lachend: »Nun ja, mein Schatz, wenn ich
jetzt sagen würde, ja, sie tun es, dann würde Mr. Schlafender Hund uns in dem
Glauben verlassen, Irland sei ein trauriges Land mit lauter kummervollen Jungs,
die sich tagein tagaus die Augen aus dem Kopf weinen und ihre Gefühle zur Schau
tragen. Das wäre doch nicht gut, oder? Aber wenn ich sagen würde, sie tun es
nicht, dann denkst du am Ende, daß das Lied und ich lügen, und das wäre auch
nicht gut.« Mit einem verschwörerischen Augenzwinkern schloß er: »Was wäre,
wenn du einfach behaupten würdest, daß du dich nicht mehr richtig an das Lied
erinnert hast, und daß es in Wirklichkeit die Italiener sind, die immer
weinen?«
    Er hatte das Ganze so formuliert,
als gehörte es zu ihrem Lieblingsspiel »Was wäre, wenn«, das sie erfunden und
in den drei Jahren, die sie zusammen unterwegs waren, oft zum Zeitvertreib
gespielt hatten. Manchmal ging es dabei um ernsthafte Probleme, wie zum
Beispiel »Was wäre, wenn das Pferd lahmen würde?«, und manchmal einfach nur um
Spaßfragen, wie »Was wäre, wenn eine Fee käme und wir einen Wunsch frei hätten?«.
Ganz gleich jedoch, wie die Voraussetzungen lauteten, galt es stets, die
bestmögliche Lösung in der kürzestmöglichen Zeit zu finden. Sheridan war darin
so gut geworden, daß ihr Vater stolz erklärte, er müsse sich schon sehr
anstrengen, um mit ihr mitzuhalten.
    Sheridan zog ihre Augenbrauen einen
kurzen Augenblick lang konzentriert zusammen, dann verkündete sie fröhlich
kichernd ihre Lösung: »Am besten tust du so, als hättest du gerade etwas
Wichtiges zu tun, damit du die Frage nicht beantworten mußt. Denn ganz gleich,
was du sagst, du wirst dich immer damit in die Nesseln setzen.«
    »Du hast recht«, erwiderte er
lachend und befolgte ihren Rat, indem er Schlafender Hund höflich Gute Nacht
wünschte. Das unbeschwerte Geplänkel entlockte dem stoischen Indianer nicht
einmal den Anflug eines Lächelns, aber er blickte Sheridan über das Feuer
hinweg lange und durchdringend an. Dann sprang er auf die Füße und verschwand
ohne ein weiteres Wort, um die Nacht im Wald zu verbringen.
    Am nächsten Morgen schlug Schlafender
Hund ihr vor, sein Pferd zu reiten – ein Vorschlag, der, so vermutete Sheridan,
seinem Wunsch entsprang, ohne große Ausreden im bequemeren Wagen mitfahren zu
können, und so sein Gesicht zu wahren. Sheridan, die vorher immer nur auf dem
alten, breitrückigen Pferd geritten war, das ihren Wagen zog, betrachtete das
schöne, lebhafte Tier aufgeregt und ein wenig nervös. Sie wollte gerade
ablehnen, als sie den herausfordernden Ausdruck im Gesicht des Indianers sah.
Sorgfältig darauf bedacht, einen bedauernden Ton anzuschlagen, wies sie darauf
hin, daß sie keinen Sattel hätten. Schlafender Hund schenkte ihr wieder einen
seiner stolzen, überlegenen Blicke und erklärte ihr, Indianermädchen ritten
immer ohne Sattel und im Herrensitz.
    Sein durchdringender Blick und das
Gefühl, daß er ihre Angst spürte, waren mehr, als Sheridan ertragen konnte. Bereit,
eher Leib und Leben zu riskieren, als ihm einen Grund zu geben, schlecht von
ihr und damit von allen irischen Kindern zu denken, trat sie zu ihm und nahm
ihm die Zügel aus der Hand. Er bot ihr nicht an, ihr beim
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