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Judith McNaught

Judith McNaught

Titel: Judith McNaught
Autoren: Legenden der Liebe
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auch nur die, die mich betrügen.«
    Wie Sheridan später erfuhr, war
Raphael so etwas wie ein Profispieler, den die eigene Familie, wie er selbst
zugab, aus der großen Hacienda in Mexico hinausgeworfen hatte, als Strafe für
seine »schlechten Angewohnheiten«, wie er es nannte.
    Sheridan, die ihre kleine Familie
liebte, war entsetzt, als sie erfuhr, daß manche Eltern tatsächlich ihre Kinder
davonjagen, und fragte sich erschüttert, welche unaussprechliche Missetat
Raphael begangen haben könnte, um es so weit zu bringen. Als sie das Thema
vorsichtig ihrem Vater gegenüber zur Sprache brachte, legte dieser ihr
beruhigend den Arm um die Schultern und sagte, Raphael hätte ihm den wahren
Grund für den Hinauswurf erzählt. Es ging dabei darum, daß er zuviel für eine
Dame empfunden habe, die schon verheiratet gewesen sei.
    Sheridan akzeptierte diese Erklärung
ohne weitere Fragen, nicht nur, weil ihr Vater den Charakter der Männer, die
längere Zeit mit ihnen unterwegs waren, immer überprüfte, sondern auch, weil
sie nur das Beste von Raphael denken wollte. Obwohl sie erst zwölf Jahre alt
war, hielt sie Raphael Benavente für den bestaussehenden und charmantesten Mann
auf der ganzen Welt – außer ihrem Vater natürlich. Er erzählte ihr wunderbare
Geschichten, neckte sie wegen ihrer jungenhaften Art und sagte ihr, sie würde
später einmal eine wunderschöne Frau werden. Er behauptete, ihre Augen seien so
kühl wie graue Sturmwolken, und Gott habe sie ihr geschenkt, damit sie zum
Feuer ihrer Haare paßten. Bis dahin hatte sich Sheridan nicht im geringsten um
ihr Aussehen gekümmert, aber sie hoffte zutiefst, daß Raphaels Prophezeiung
ihrer zukünftigen Schönheit stimmte, und daß er vor allem noch so lange
wartete, bis es soweit war. Bis dahin gab sie sich mit seiner bloßen
Gesellschaft und damit, wie ein Kind behandelt zu werden, zufrieden.
    Anders als die meisten Reisenden,
denen sie unterwegs begegneten, hatte Rafe anscheinend immer genug Geld und
kein besonderes Ziel. Er spielte öfter als ihr Vater und gab seine Gewinne nach
Belieben aus. Eines Tages, als sie ihren Wagen am Rand von Savannah, Georgia,
abgestellt hatten, verschwand er für vier Tage und Nächte. Als er am fünften
Tag wieder auftauchte, roch er nach Parfüm und Whisky. Da Sherry vor einem Jahr
Bruchstücke einer Unterhaltung zwischen verheirateten Frauen aufgeschnappt
hatte, die mit ihren Männern in einem kleinen Treck nach Missouri zogen, reimte
sie sich zusammen, daß Rafes Zustand bewies, daß er sich in Gesellschaft einer
»Hure« befunden hatte. Obwohl sie nur eine unzureichende Vorstellung davon
besaß, was eine Hure eigentlich ausmachte, wußte sie doch aus der gleichen
Unterhaltung, daß sie keine anständige Frau war und irgendeine böse Macht
besaß, durch die sie »einen Mann vom Pfad der Tugend abbringen« konnte. Zwar
wußte Sheridan nicht genau, wie sich eine Frau verhalten mußte, damit sie als
»anständig« galt, sie wußte jedoch genug, um instinktiv zu reagieren. Als
Rafe an diesem Tag unrasiert und nach Huren riechend zurückkam, lag Sheridan
auf den Knien, betete unbeholfen um seine Sicherheit und versuchte, ihre Angsttränen
zurückzuhalten. Innerhalb weniger Augenblicke allerdings verwandelte sich ihre
Furcht in eifersüchtige Empörung, und den Rest des Tages blieb sie distanziert
und ärgerlich. Als seine Späße sie nicht erweichen konnten, zuckte er mit den
Schultern und spielte den Gleichgültigen, aber am Abend darauf kam er mutwillig
grinsend mit einer Gitarre ins Lager. Er tat so, als beachte er sie gar nicht,
setzte sich ihr gegenüber ans Feuer und begann zu spielen.
    Sheridan hatte auch früher schon
Gitarrenspiel gehört, aber so wie Rafe spielte niemand. Unter seinen
geschickten Fingern vibrierten die Saiten in einem fremdartigen, pulsierenden
Rhythmus, der ihr Herz schneller schlagen ließ. Ihre Zehen in den Stiefeln
wippten unwillkürlich im Takt mit. Dann änderte sich plötzlich das Tempo, und
die Musik wurde unglaublich sehnsüchtig und so traurig, daß die Gitarre selbst
zu schluchzen schien. Die dritte Melodie, die er spielte, war leicht und
fröhlich. Er blickte sie über das Lagerfeuer hinweg an, nickte ihr zu, und
begann den Text des Liedes zu murmeln, als ob er zu ihr spräche. Es ging um
die Geschichte eines dummen Mannes, der die Dinge, die er besaß, und die Frau,
die ihn liebte, nicht zu schätzen wußte, bis er alles verloren hatte. Noch
bevor Sherry den Schock – und die
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