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Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin
Autoren: Justine Larbalestier
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NACHHER
    Als Zach am Dienstagmorgen nicht in der Schule ist, mache ich mir Sorgen. Er hatte gesagt, er würde mich am
Montagabend anrufen, aber das hat er nicht getan. Freitagabend hab ich ihn zum letzten Mal gesehen. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches.
    Zachary Rubin ist mein Freund. Er ist nicht der beste Freund der Welt, aber er hält sich normalerweise an das, was er versprochen hat.
    Wenn er die Schule hätte schwänzen wollen, dann hätte er mich mitgenommen. Wir hätten zusammen im Park laufen können. Oder wir wären den ganzen Tag mit der U-Bahn rumgefahren und hätten über die ganzen Irren gelacht, denn das sind letztlich fast alle.
    Einmal sind wir ganz von der Fähre nach Staten Island bis nach Inwood, direkt neben dem großen Krankenhaus und der Brücke, die in die Bronx führt, gelaufen. Das hat den ganzen Tag gedauert, weil wir immer wieder abgelenkt wurden und Sachen angeschaut und uns umgesehen haben oder es zur Abwechslung einfach mal genossen haben zu gehen, anstatt zu rennen.
    Richtung Norden nahmen wir immer den Broadway, einmal über die ganze Insel. Zach hat gesagt, es wäre ein alter Indianerpfad und damit die älteste Straße von ganz Manhattan. Deswegen ist die Straße auch so gewunden und verläuft manchmal schräg oder gekrümmt und dann wieder ganz gerade wie eine Avenue.
    Ich und Zach, wir haben uns gestritten, wie das Wasser unter der Brücke in die Bronx heißt.War das der Hudson oder der East River? Oder vermischten sich beide unter der Brücke? Wie immer es hieß, das Wasser war jedenfalls graubraun und sah ziemlich eklig aus. Es hätte also beides sein können.
    Das war unser bester Tag zusammen.

    Ich hoffe, dass Zach nicht irgendwas Cooles ohne mich unternimmt. Dann bring ich ihn um.
    Ich esse alleine mittag. Ein kaltes Steak-Sandwich. Das Brot ist grau und nass, vom Fleischsaft durchtränkt. Ich esse das Steak und schmeiße den Rest weg.
    Im Klassenzimmer starre ich aus dem Fenster und betrachte die Spiegelbilder meiner Klassenkameraden auf dem Riffelglas vor den grauen Metallstäben. Ich denke daran, wie Zach aussieht, wenn er mich anlächelt.

NACHHER
    Am zweiten Tag, den Zach nicht in der Schule ist, trage ich eine Maske. Die behalte ich drei Tage lang auf. Ich fälsche eine Mitteilung von meinem Dad, in der steht, dass ich an einem entsetzlichen Ausschlag leide und der Arzt gesagt hat, ich soll ihn bedeckt halten. Diese Mitteilung schleppe ich überall mit mir rum. Und alle glauben mir.
    Mein Dad hat mir diese Maske aus Venedig mitgebracht. Sie ist aus schwarzem Lackleder und mit Silber bemalt und an jeder Ecke wie ein Farn geschnörkelt. Das Silber ist echt.
    Meine Haut juckt unter der Maske.
    Am Donnerstag in der dritten Stunde sagen sie uns, dass Zach tot ist.
    Direktor Paul Jones kommt zu uns ins Klassenzimmer.
Er lächelt nicht. Getuschel ist zu hören. Ich höre Zachs Namen und blicke zur Seite.
    »Ich habe eine schlechte Nachricht für euch«, sagt der Direktor unnötigerweise. Ich kann seine schlechte Nachricht förmlich riechen.
    Nun schaut ihn jeder an. Alle sind still. Seine Augen sind leicht gerötet. Ich frage mich, ob er wohl zu allen Klassen geht oder nur zu uns Seniors. Bestimmt sind wir die Ersten. Zach ist schließlich ein Senior.
    Ich kann den Minutenzeiger der Uhr über der Tafel hören. Er tickt nicht, er klickt. Klick, klick, klick, klick. Kein Tick und kein Tack.
    Eine Fliege ist im Klassenzimmer. Der Ventilator durchschneidet die Luft. Ein verschwommener Sonnenstrahl scheint vorne ins Zimmer, genau dahin, wo der Direktor steht. Darin wird der Staub in der Luft sichtbar und die Falten um seine Augen und auf seiner Stirn und in seinen Mundwinkeln.
    Sarah Washington rutscht auf ihrem Stuhl herum, sodass die Stuhlbeine schmerzhaft laut über den Parkettboden quietschen. Ich drehe mich um und starre sie an. Alle anderen tun dasselbe. Sie wendet den Blick ab.
    »Zachary Rubin wird nicht mehr vermisst. Man hat seine Leiche gefunden.« Direktor Pauls Lippen verziehen sich zu einer Mischung zwischen einer Grimasse und einem Zähnefletschen.
    Ein Geräusch bewegt sich durchs Klassenzimmer. Ich brauche eine Weile, bis ich merke, dass die Hälfte der Mädchen weint. Auch ein paar Jungs. Sarah Washington schaukelt vor und zurück, ihre Augen sind weit aufgerissen.
    Meine sind trocken. Ich nehme die Maske ab.

VORHER
    Während der ersten beiden Tage als Freshman im ersten Jahr an der Highschool war ich ein Junge.
    Es fing in der ersten Unterrichtsstunde an
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