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Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin
Autoren: Justine Larbalestier
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hörte mein Lachen und wandte sich um.
    »Du bist kein Junge«, sagte sie noch einmal.
    »Was?«, wiederholte ich und ging weiter in Richtung Ausgang.
    »Jungs lachen nicht so«, sagte sie und ging neben mir her, ihre Stimme wurde lauter.
    »Was ist mit ihm?«, fragte Tayshawn und schlitterte zu uns herüber, blieb vor mir stehen und versperrte mir den Weg. »Wir haben gestern zusammen Basketball gespielt. Er…« Jetzt starrte er mich an und kam ganz nahe. Ich wurde an die Wand gedrängt. »Sie? – spielt wie ein Junge. Du bist ein Mädchen, was? Seht euch mal ihr Gesicht an. Da ist kein Flaum.«
    »Ich bin erst vierzehn«, quietschte ich, und meine Stimme verriet mich.
    Jetzt starrte Lucy O’Hara zu uns herüber. Und Will Daniels. Und auch Zach. Alle scharten sich um mich.
    »Du bist ein Mädchen«, sagte Sarah. »Gib’s zu.«
    »Ich bin ein Junge«, erklärte ich und versuchte, mir einen Weg durch die Menge zu bahnen und loszurennen.
    »Ziehen wir ihr doch einfach die Klamotten aus«, sagte Will lachend. »Dann wissen wir’s ganz genau.«
    Ich hielt die Schultasche schützend vor die Brust.
    »Mädchen!«, rief Tayshawn. »Ein Junge hätte seine Eier geschützt. Ha! Du hast uns sauber reingelegt, Micah.« Er knuffte Will. »Du hast dich von einem Mädchen schlagen lassen, Mann. Ein Mädchen!«
    Will senkte den Blick und sagte gar nichts und trat mit den Schuhen gegen den Boden.

    Ich kämpfte mit den Tränen. Es hatte so viel Spaß gemacht, mit ihnen Ball zu spielen. Tayshawn und Zach waren so gut. Vor allem Zach. Wenn man mit Jungs spielt, die wissen, dass du ein Mädchen bist, dann geben sie entweder nicht ab oder sie behandeln dich, als wärst du zu zerbrechlich zum Atmen, oder sie versuchen, dich rauszudrängen. In jedem Fall ist es saublöd. Es war so cool gewesen, als Junge zu spielen. Sie hatten mir den Ball zugespielt, mich gedeckt, meine Würfe blockiert und so harte Bodychecks gemacht, dass meine Zähne wackelten. Aber jetzt schaute Will mich nicht mal mehr an. Zach war schon verschwunden.
    »Freak«, sagte Lucy im Weggehen. Sarah starrte mich noch einen Augenblick an, bevor sie ihr folgte.
    Dann war ich ganz allein, lehnte an der Wand, die Tasche noch immer an die Brust gedrückt, während mehr und mehr Schüler an mir vorbeiströmten. Ich wartete, bis alle fort waren. Beim Zurückschauen sah ich die Bananenschale, zertrampelt, in Stücke getreten, aber immer noch als Bananenschale erkennbar.

NACHHER
    Ich rausche so schnell wie möglich in die Wohnung, eile durch die Küche, ohne einen Blick zu Dad hinüber, der nur kurz Hallo sagt und von seiner Arbeit auf dem Küchentisch aufschaut.

    Ich schließe mich in meinem Zimmer ein. Lasse mich aufs Bett fallen. Meine Augen brennen und schmerzen. Ohne Tränen.
    Schlampe.
    Killer.
    Zach ist tot.
    Durch die Wand kann ich das dumpfe Dumm, Dumm, Dumm der Musik von dieser blöden Tussi nebenan hören. Es sind fünf. Studentinnen, aber die mit der lauten Musik scheint nie ins College zu gehen. Sie scheint nichts anderes zu tun zu haben, als in der Wohnung zu bleiben und ohrenbetäubenden Krach zu machen.
    Ich wünschte, sie wäre tot und Zach wäre noch am Leben.
    Ich hasse Musik. Sie tut mir in den Ohren weh und im Kopf. Sogar in den Nasenflügeln. Jede Musik. Ich kann nicht zwischen Hip-Hop und irgendwelchem anderen Gedudel oder zwischen Symphonien und Verkehrslärm unterscheiden. Es tut alles nur weh.
    Das Beste an den Besuchen bei den Oldies ist, dass es dort keine Musik gibt. Keinen Lärm, der mich mit den Zähnen knirschen lässt. Nur den Wind in den Bäumen. Das Bellen der Füchse. Das leise Getrappel der Rehe. Das Krachen des Eises. Und die Spottdrosseln, die ihr niemals gleiches Lied aus drei Tönen singen, jeder Ton so klar wie Regenwasser. Und das Trillern der Walddrosseln.
    Schöne Geräusche.
    Zach hat Musik geliebt. Er konnte meinen Hass nicht verstehen.
    Zach ist tot.
    Ich wünschte, ich hätte die Noise-Reduction-Kopfhörer
von meinem Dad. Die trägt er im Flugzeug. Am liebsten würde ich sie mir aus seinem Zimmer stibitzen, aufsetzen und nirgends einstöpseln, nur um das Dröhnen von jenseits der Wand zu dämpfen. Wenn ich könnte, würde ich sie die ganze Zeit tragen, aber ich kann mir keine eigenen Kopfhörer leisten. Ich werde mir welche zum Geburtstag oder zu Weihnachten oder so wünschen. Nicht, dass meine Eltern viel Geld hätten. Dad besitzt solche Kopfhörer nur, weil er sie mal für eine Zeitschrift testen sollte und sie danach nie
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