Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin
Autoren: Justine Larbalestier
Vom Netzwerk:
Handgelenke, Handflächen. Alles ist besser, als Sarah zuzuhören.
    »Also, stimmt es?«, fragt sie und hebt die Stimme, um gegen das Dröhnen anzukommen.
    »Warum sollte ich es dir sagen?«, erwidere ich leise. Auf meinen Händen ist keine Feuchtigkeit mehr und sie fangen an zu braten, aber ich wende sie weiter hin und her.
    »Er war mein Freund«, sagt sie. »Das wussten alle.Warum behauptet Brandon also, dass du seine Freundin warst?«
    »Warum fragst du ihn das nicht?«
    Sie schüttelt den Kopf. »Das hab ich ja. Aber es hat
nichts gebracht. Er ist immer noch tot.« Sie sackt zusammen, schwankt zwischen mir und der Tür hin und her, ihre Augen von Tränen schwer. Ich frage mich, wie sie noch irgendwelches Wasser in sich haben kann. »Brandon mischt einfach gerne auf.«
    Ich trete vom Trockner weg und achte nicht auf meine brennenden Hände. »Stimmt«, sage ich.
    »Seine Freundin für die Zeit danach?«, sagt sie und ahmt dabei Brandons Tonfall nach. »Ich habe nie gesehen, dass er dich auch nur angesehen hätte. Nicht ein einziges Mal.«
    »Na, dann ist ja alles klar.«
    »Manchmal war er nicht in der Schule. Und du … du schwänzt doch dauernd den Unterricht, manchmal tagelang. War er dabei? War er mit dir zusammen?«
    »Nein«, sage ich. »Er war nicht mein Freund.«
    »Ich glaube dir nicht. Du sagst doch nie die Wahrheit.«
    »Warum fragst du mich dann?«
    Sie tritt einen Schritt zurück und lehnt sich wieder gegen die Wand. So als wäre es zu schwer, zu anstrengend zu stehen. Sie weint noch mehr. »Ich will wissen, was mit ihm passiert ist. Seine Eltern lassen mich noch nicht mal seinen Leichnam sehen. Woher soll ich wissen, dass er wirklich tot ist, wenn ich ihn nicht sehen darf?«
    Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie wirklich eine Leiche sehen will. Sie weigert sich sonst sogar, in Bio Ratten aufzuschneiden. »Also, ich hab gehört, dass er erschossen wurde«, sage ich, obwohl ich nichts in dieser Richtung gehört habe. »Das sieht bestimmt nicht gut aus.« Ich versuche, es mir vorzustellen. Aber ich kann nur den ganzen Zach vor mir sehen. Wie er mich anlächelt, lacht.

    »Ich hab meine Großmutter tot gesehen«, sagt Sarah. »Sie lag in einem Sarg, und überall um sie rum war weißer Seidenstoff. Sie hatte einen Strauß weißer Lilien in der Hand. Und ich musste die ganze Zeit daran denken, wie sehr sie Blumen gehasst hat. Schnittblumen, meine ich. Sie fand immer, die wären sinnlos und Verschwendung. ›Was passiert mit denen?‹, hat sie immer gefragt. ›Sie verfaulen. Das passiert. Blumen lässt man am besten einfach wachsen.‹ Das passiert, wenn man stirbt, man verfault.«
    Sarah macht sich gar nicht mehr die Mühe, ihre Tränen wegzuwischen. »Ich kann nicht glauben, dass er tot ist. Alle mochten ihn.Wer sollte ihn umbringen? Wer hat ihn so gehasst? Weißt du es?«
    Ich weiß es nicht und will es auch gar nicht wissen. Ich habe nie gesehen, dass Zach irgendjemandem etwas getan hat. Jedenfalls nicht mit Absicht. Er war dafür, dass alle ganz locker blieben und den Dingen ihren Lauf ließen. Er mochte keinen Streit und keinen Kampf, noch nicht einmal eine kleine Auseinandersetzung. Er zuckte lieber die Schultern und sagte: »Klar. Wie du meinst.« Er war kein Bestimmer. Meistens erreichte er auch so, dass die Sachen so liefen, wie er es wollte, aber ganz ohne ersichtliche Anstrengung.
    Auch seine Küsse waren sicher und locker. Ich lege die Hand auf den Mund und erinnere mich an an seinen Geschmack.
    »Du warst mit ihm zusammen«, sagt Sarah und starrt meinen Mund an. »Stimmt’s?«

NACHHER
    Der Tag, an dem ich erfahre, dass Zach tot ist, ist der längste Tag meines Lebens. Schule war schon immer scheiße. Jetzt ist es die Hölle.
    Alle starren mich an. Nicht nur Sarah, nicht nur alle aus unserer Gruppensitzung, sondern jeder einzelne Schüler der ganzen Schule, selbst die Freshmen, die Lehrer, die Leute aus der Verwaltung, die Hausmeister.
    Es ist noch viel schlimmer als damals, als sie herausbekommen hatten, dass ich doch kein Junge bin.
    Zach ist tot.
    Ich kann es einfach nicht begreifen. Wie kann er tot sein? Ich hab ihn am Freitagabend gesehen. Wir sind auf einen Baum im Central Park geklettert. Wir haben uns geküsst. Wir sind gelaufen. Direktor Paul muss sich irren.
    Ich wünschte, sie würden alle aufhören, mich anzustarren. Sie glauben, sie wissen etwas über mich und Zach, dass er und ich zusammen waren – was immer das heißt – und dass sie etwas gegen mich in der Hand
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher