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Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin
Autoren: Justine Larbalestier
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haben.
    Haben sie aber nicht.
    Ich halte den Kopf gesenkt. Versuche, mir die Ohren zu verstopfen, die bösen Bemerkungen nicht zu hören. Versuche, mich auf die restlichen Unterrichtsstunden zu konzentrieren. Mich damit abzulenken, dass ich in der Bibliothek sitze und lerne. Versuche, nicht an Zach zu denken. Versuche, an nichts anderes als ans Lernen zu denken.
    Als es endlich zum Schulschluss klingelt, formt Brandon stumm ein Wort.
    Killer.

    Jedenfalls glaube ich, dass es das sein soll.
    Ich drängele mich mit dem Rucksack über der Schulter aus dem Klassenzimmer, so schnell ich kann den Flur entlang, die Treppe hinunter. Meine Hände halten die Riemen umklammert. Nur fort aus der Schule und von Leuten, die ich kenne. Sobald ich um die Ecke zum West Broadway gebogen bin, renne ich los.
    Ich laufe ganz bis zum Central Park, und sobald ich dort bin, renne ich noch schneller, hebe ich die Knie ganz hoch, bewege die Arme schnell im Rhythmus. Ich laufe Langstrecke im Sprinttempo. Ich ziehe an den schnellsten Joggern vorbei. Keiner ist so schnell und so aufgeputscht wie ich. Ich will mir all das Gift und das Getuschel und die Trauer aus dem Körper rennen.
    Erst als ich völlig ausgepowert bin und mich jeder weitere Schritt umbringen würde, gehe ich nach Hause.

FAMILIENGESCHICHTE
    Bestimmt haltet ihr mich für seltsam mit meiner Maske und diesem Freund, der eigentlich doch keiner ist und der tot ist und mit all meinen Lügen.
    Meine früheren Lügen meine ich. Ich habe hier nicht gelogen und werde es auch nicht tun. Zu sagen, dass Zach mein Freund war, während er vor allem der von Sarah war, ist ja keine Lüge. Er war mein Freund. So wie Brandon es gesagt hat – für danach.

    Interessiert es jemanden, warum ich eigentlich früher gelogen habe?
    Dann will ich mal ein bisschen über meine Familie erzählen:
    Meine Eltern sind noch immer ein Paar und wohnen auch zusammen. Wenn sie sich nicht gerade streiten, dann sind sie ein Herz und eine Seele. Ich weiß nie so recht, was eigentlich schlimmer ist.
    Mein Dad heißt Isaiah Wilkins. Er ist schwarz, wie ich. Meine Mom heißt Maude Bourgault oder vielmehr, sie hieß so, denn jetzt heißt sie natürlich Maude Wilkins. Sie ist weiß. Selbst wenn Dad das nicht wahrhaben will. Er kann bei allen Leuten etwas Schwarzes entdecken, auch wenn es gar nicht da ist. Er redet sich die Welt schön, so wie er sie sich wünscht, nicht wie sie ist. Dad sagt, Moms Haare wären fast so kraus wie seine eigenen, und er bezweifelt, dass ihre vollen Lippen aus irgendeinem weißen Erbgut stammen können. Mom lacht. Woher soll sie das wissen? Sie ist adoptiert und hat ihre Familie gehasst. Sie ist abgehauen.
    Die Familie meiner Mutter habe ich nie kennengelernt. Nur die von Dad.
    Dads Vater war schwarz, aber seine Mutter ist weiß. Großmutter ist unsere ganze Familie. Sie und Großtante Dorothy und, als er noch lebte, Großonkel Hilliard. Die Ältesten sind jetzt Großmutter und Großtante Dorothy. Ich nenne sie »die Oldies«.
    Wenn man behauptete, die Wilkins lebten zurückgezogen, dann wäre das eine glatte Untertreibung. Es ist schon mehr als verrückt, wie sie sich abkapseln. Sie bleiben immer auf ihrer Farm. Auf den gerade mal 80 Hektar. Sie
sind sich selbst genug. Sie verstehen nicht, warum es nicht alle so machen. Großmutter war noch nie in der Stadt.
    Die Wilkins sind vor mehr als einem Jahrhundert in den Staat New York gekommen – von weit her aus Polen oder Russland oder der Ukraine. Irgendwo von dort. Sie stammen aus den Karpaten. Dort haben sie seit Generationen gelebt und waren so selten wie möglich in die Stadt gegangen und hatten weit entfernt von anderen Familien gewohnt. Bergbewohner: langlebig, sehnig, verschroben und schweigsam.
    Und dieses frostige Bergwesen haben sie mit sich in den Staat New York gebracht, wo sie nun leben und sich fortpflanzen und immer älter und verschrobener und hutzeliger werden.
    Das ist meine Familie. Alle noch viel abgedrehter als ich selbst.

VORHER
    Am Ende meines zweiten Tages als Freshman in der Highschool hat Sarah Washington mich entlarvt.
    Nichts Dramatisches. Ich hatte nicht mal den Fehler gemacht und war aufs Mädchenklo gegangen.
    Ich hatte nur gelacht und Sarah hatte mich gehört.
    »Du bist kein Junge«, sagte sie.
    Wir standen im Flur. Brandon Duncan war – und das habe ich mir nicht nur ausgedacht – auf einer Bananenschale
ausgerutscht. Ich hatte gelacht. Viele hatten gelacht. Aber Sarah ging in dem Moment an mir vorbei. Sie
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