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Als gaebe es kein Gestern

Als gaebe es kein Gestern

Titel: Als gaebe es kein Gestern
Autoren: Kirsten Winkelmann
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Kapitel 1
    Sie öffnete die Augen. Da war etwas Helles, Weißes … Verzweifelt versuchte sie, es scharf zu stellen. Aber je mehr sie blinzelte und anschließend ihre Augen zusammenkniff, desto stärker verschwamm die Fläche zu einer undefinierbaren Masse.
    Ein seltsames Grunzgeräusch ließ sie zusammenzucken. Woher stammte es? Was hatte es zu bedeuten? Sie wollte danach fragen … und da erklang es erneut! Ein Zittern durchfuhr sie. Dieses Geräusch machte ihr Angst. War es überhaupt menschlichen Ursprungs?
    Sie versuchte sich aufzurichten, doch gelang ihr das nicht. Etwas hielt sie fest. Etwas tat ihr weh. Aber was? Und wo?
    Ein seltsames Gefühl kroch ihre Kehle hinauf. Sie konnte es nicht in Worte fassen, aber es beinhaltete den Eindruck, dass irgendetwas nicht in Ordnung war … überhaupt nicht in Ordnung war.
    Hilfe! Ist hier jemand???
    Aber es ertönten keine Worte, sondern nur eine Ansammlung dieser schrecklichen, sinnlosen Geräusche.
    Und dann folgten noch andere. Etwas klapperte, ein Schatten fiel auf sie. Vor ihr ein Umriss. Eine menschliche Form? Aber kein Gesicht.
    Als das Grunzen zum dritten Mal ertönte, schwante ihr etwas … und das versetzte sie so sehr in Panik, dass sie herumzappelte und … fortfuhr diese animalischen Grunzgeräusche auszustoßen …
    ❧
    Als sie das nächste Mal zu Bewusstsein kam, war ihre erste Wahrnehmung ein Duft. Er versetzte sie auf eine grüne Wiese, auf der ein Meer von Blumen blühte. Blauer Himmel mit ein paar wenigen schneeweißen Wolken. Strahlender Sonnenschein. Zitronenfalter, die über das grüne Gras tanzten.
    Schön, wollte sie sagen, doch erklang auch dieses Mal nur ein abartiges Stöhnen.
    Sie keuchte erschrocken auf und erinnerte sich sofort an das, was sie beim letzten Mal empfunden hatte: Angst. Etwas stimmte nicht!
    „Shhshshh“, sagte eine Stimme, die unendlich sanft und freundlich klang. Und als sich gleich darauf eine warme Hand auf ihre Wange lehnte, ebbte das Gefühl der Panik genauso plötzlich wieder ab, wie es gekommen war.
    Als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt, hob sie eine Hand, umklammerte damit die fremde Hand und hielt sich daran fest.
    Die fremde Stimme flüsterte etwas.
    Es klang immer noch sanft und melodisch. Vertrauenerweckend. Beruhigend.
    Sie versuchte zu antworten, brachte aber nur einen jämmerlichen Laut zustande. Es war, als würde ihr Mund nicht mehr zu ihr gehören. Gehörte überhaupt etwas zu ihr?
    Sie befahl ihren Augen, sich zu öffnen. Fast war sie erstaunt, dass sie ihr gehorchten.
    Auch dieses Mal war nicht mehr als ein Umriss da. Etwas Dunkles umrahmte eine helle Fläche. Dunkle Haare? Um ein Gesicht? Sie blinzelte verzweifelt gegen den Schleier an, den sie auf ihren Augen vermutete, erreichte aber keine Besserung. Was bedeutete das alles?
    Wieder stieß sie einen jämmerlichen Laut aus. Wieder antwortete die Stimme auf sanfte, unverständliche Weise.
    War sie in einem Albtraum gelandet? Oder gar in der Hölle?
    Die Tränen quollen wie von selbst aus ihren Augen und vernebelten ihr das letzte bisschen Sicht. Das letzte bisschen Hoffnung.
    Sie schluchzte auf. Es war ein heiseres, klägliches Schluchzen, das genauso wenig menschlich klang wie all die anderen Geräusche, die sie bis dahin von sich gegeben hatte.
    Ich will sterben … Das war der Sinn dessen, was darin mitschwang.
    Aber dann verstummte sie plötzlich, weil doch noch ein Stück Leben zu ihr vordrang.
    Töne … Musik …
    Und obwohl sie kein einziges Wort von dem verstand, was die sanfte Stimme sang, beruhigte dieses Lied sie so sehr, dass sie in einen tiefen Schlaf zurücksank.
    ❧
    Nachdem sie ihr Lied beendet hatte, verließ Karen Scholl das trostlose weiße Krankenzimmer. Als sie auf den Flur hinaustrat, sah sie Arvin am Fenster stehen. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt, starrte nach draußen und schien die Blätter zu beobachten, die der kräftige Herbstwind in Massen von den Bäumen fegte.
    Sie ging zu ihm. Ihre Schritte hallten auf dem Linoleumfußboden. „Solltest du jetzt nicht bei ihr sein?“, sprach sie ihn von hinten an. Es war kein Vorwurf in ihren Worten. Nur die Frage.
    Arvin rührte sich nicht. Er war ein großer, kräftiger Mann mit dichten dunklen Haaren und einer eckigen, schwarz umrandeten Brille. Im Moment sah er genauso zerknittert aus wie das beigefarbene Oberhemd, das er trug.
    „Arvin“, flüsterte Karen und strich mit einer Hand über seinen linken Oberarm. „Hey!“
    Arvin reagierte noch immer
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