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Die Hand im Moor (German Edition)

Die Hand im Moor (German Edition)

Titel: Die Hand im Moor (German Edition)
Autoren: Inger Lindson
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Schleswig Holstein in den achtziger Jahren
     
    Gedankenverloren blickte Christina von Frey aus ihrem Schlafzimmerfenster. Es war ein wunderschöner Morgen, doch die junge Frau nahm nicht einmal den Gesang der Vögel wahr, der den Park erfüllte. Sie spürte eine tiefe Traurigkeit in sich. Es war Samstag. Die Familie erwartete sie zum Frühstück auf der Terra sse, aber am liebsten wäre sie in ihrem Zimmer geblieben. Sie hatte keine Lust hinunterzugehen und so zu tun, als sei alles in Ordnung.
    Die Baronesse trat an den Spiegel und steckte sich ihre langen, blonden Haare mit einer dunklen Spange im Nacken zusa mmen. 
    Du machst ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter, dachte sie und schnitt ihrem Spiegelbild eine Grimasse. Plötzlich glaubte sie neben ihrem auch Jürgens Gesicht zu sehen. Er schien hinter ihr zu stehen. Seine Hände ruhten auf ihren Schultern. "Ich liebe dich", flüsterte er.
    Christina schlug die Hände vors Gesicht. Sie wußte sehr genau, daß sie wieder einmal Tagträumen nachhing. Träumen, die nie Wirklichkeit werden konnten. Sie hatte Jürgen für immer verloren.
    Sie wandte sich ihrem Bett zu und ließ sich darauf fallen, dann nahm sie Jürgens Foto, das auf ihrem Nachttisch stand. Es zeigte einen dunkelhaarigen, jungen Mann, der vergnügt in die Kamera lachte. "Warum hast du mich verlassen?" fragte sie leise. "Warum, Jü rgen? Warum?"
    Christina stellte das Foto zurück und griff nach dem Anhänger, den sie seit acht Jahren an einem goldenen Kettchen trug. Sie hatte ihn zu ihrem sechzehnten Geburtstag bekommen. Der Anhänger bildete die Form eines zierlichen Schlüssels. "Der Schlüssel zu meinem Herzen", hatte Jürgen damals lachend erklärt und sie g eküßt.
    Es war eine wundervolle Geburtstagsfeier gewesen. Ungeachtet der anderen Gäste hatte sie nur Augen für Jürgen gehabt. Zum ersten Mal hatte er ihr vor aller Welt gezeigt, was er für sie em pfand. Bis zu diesem Tag hatten ihre Eltern ihre Zuneigung zu Jürgen Wahl für eine harmlose Schwärmerei gehalten, doch plötzlich hatten sie in ihm eine ernste Gefahr für die Pläne gesehen, die sie mit ihr hatten.
    Es klopfte.
    Christina hob den Kopf. Sie blickte zur Tür. "Bitte!" rief sie in der Annahme, es sei eines der Hausmädchen.
    "Wo bleibst du denn, Christina?" Elisabeth Baronin von Frey, eine aparte Frau um die Fünfzig, trat ein. Ihr Blick fiel auf das Foto. "Meinst du nicht, es sei an der Zeit, Jürgens Bild endlich in irgendeinem Schubfach verschwinden zu lassen?" fragte sie freundlich und setzte sich zu ihrer Tochter auf das Bett. "Genauso wie den Anhänger, den er dir geschenkt hat. Du solltest nicht ve rgessen, daß du dich in einer Woche mit Volker verloben wirst."
    Volker! Christina strich mit beiden Händen durch ihr Gesicht. Sie mochte Volker von Quant, aber sie liebte ihn nicht. Volker war fünfzehn gewesen, als ihre Eltern ihn bei sich aufgenommen ha tten, nachdem seine eigenen Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren. Sie hatte in ihm stets einen älteren Bruder gesehen. Nach dem Abitur hatte Volker Agrarwirtschaft studiert und arbeitete jetzt als Verwalter auf ihrem Gut. Ihre Eltern vertrauten ihm, wie sie einem Sohn vertraut hätten.
    "Ich liebe Volker nicht, Mutti."
    "Als dein Vater und ich heirateten, konnte bei uns von Liebe auch nicht die Rede sein", erwiderte die Baronin. "Wir schätzten uns, wußten, daß wir uns aufeinander verlassen können. Im Laufe der Jahre rückten wir dann immer näher zusammen. Heute kann einer ohne den anderen nicht mehr sein." Sie umfaßte die Hand ihrer Tochter. "Euch wird es ähnlich ergehen. In unseren Kreisen ist es besser, aus Vernunftgründen zu heiraten. Es..."
    "Sind dies nicht sehr antiquierte Ansichten, Mutti?" fiel ihr die junge Frau ins Wort. "Jürgen und ich hätten aus Liebe geheiratet. Wir hätten eine wundervolle Ehe g eführt."
    "Träume, nichts als Träume, Liebes." Die Baronin stand auf. "Komm zum Frühstück hinunter, Christina. "Du mußt Jürgen en dlich vergessen. Hätte er dich so geliebt wie du glaubst, wäre er nicht vor drei Jahren sang- und klanglos verschwunden."
    "Ihm muß etwas zugestoßen sein." Christina nahm wieder sein Foto zur Hand. "Er hätte mich niemals wortlos verla ssen."
    "Hör auf, dir etwas vorzumachen, Christina", befahl ihre Mu tter. "Jürgen Wahl lebt irgendwo im Ausland und wird längst am Ziel seiner Wünsche sein. Männer wie er haben es auf reiche Erbinnen abgesehen. Dein Vater hätte es niemals zugelassen, daß Gut
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