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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut
Autoren: Ines Eberl
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hinaustrat, war der Abend bereits hereingebrochen,
und die Umrisse des gegenüberliegenden Hauses waren kaum noch zu erkennen.
Hinter einer dünnen Nebelwand schimmerte das gelbe Licht der Straßenlaternen
matt wie hinter einem feuchten Schleier.
    Der kalte Dieselmotor des Landrover sprang nur widerwillig an. Als ich an
der hell erleuchteten Bäckerei vorbeifuhr, konnte ich die fast leeren
Brotregale sehen und die Verkäuferin, die die Tageseinnahmen zählte. Vor dem
Gasthof Zur Post entließ ein holländischer Reisebus eine Schar Touristen in
Wanderausrüstung. Die Kirchenglocken läuteten die volle Stunde. Ich zählte
sieben Schläge. Dann verließ ich Alpbach und folgte der unbeleuchteten
Landstraße zwischen dunklen Weidezäunen, hinter denen milchige Wiesennebel quollen.
Endlich tauchten die kahlen Äste der alten Linde und dahinter die Lichter des
Jagawirts auf.
    Ich ließ den Defender zwischen zwei geparkte Autos rollen und öffnete die
Fahrertür. Ein lautstarker Wortwechsel vor dem Gasthof ließ mich innehalten.
Ein Mann und eine Frau stritten miteinander.
    »Jetzt schau endlich, dass d’ weiterkommst!« Die Männerstimme war
unverkennbar die des Wirtes.
    »Aber, Vater.« Die Stimme der Frau klang bittend. »Wenn du dem Stefan …«
    »Verschwind, sag ich.«
    »Wenn du dem Stefan nur noch ein Mal …«
    »Aus is’, gibt nix mehr! Hast das begriffen, Schaklien? Und deinem
Stefan, diesem Verbrecher, kannst von mir bestellen …«
    Lautstark schlug ich die Autotür zu. Sofort verstummten die Stimmen. Dann
hörte ich das Aufheulen eines Motors, und im nächsten Augenblick schoss ein
kleiner Sportwagen an mir vorbei und verschwand in Richtung Alpbach.
    Vinzenz Steiner stand, die Hände in den Taschen seiner Lederbundhose
vergraben, breitbeinig im unruhigen Schein der Laterne auf der oberen
Eingangsstufe und schaute den kleiner werdenden Rücklichtern nach.
    »Guten Abend«, sagte ich. »Was für ein Wetter.«
    Ich wollte schon an ihm vorbeigehen, als mich ein unheimlicher Ton auf
der Treppe erstarren ließ. Ein raues Brüllen, gefolgt von mehreren abgehackten
Lauten, spöttischem Gebell nicht unähnlich, stieg hinter dem mächtigen Dach des
Jagawirts empor. Es schien von einer Stelle aus dem Bergwald zu kommen und
wurde von einer anderen Stelle mit einem drohenden Grunzen beantwortet.
Erschrocken schaute ich Steiner an. Doch der starrte zum sternklaren Himmel
hinauf.
    »Kalt is’«, knurrte er. »Die Hirschbrunft fängt an.«
    »Sie meinen … das eben waren Hirsche?«
    Steiner nickte. »Die haben auf die Kälte gewartet.«
    Ich hatte noch nie Hirschröhren gehört und lauschte, ob sich die Tiere
noch einmal melden würden. Doch es war wieder alles still.
    »Diese verdammten Janssens sind noch nicht zurück«, sagte Steiner.
    Ich nahm an, dass er das Ehepaar meinte, das am Morgen in Wanderkleidung
aufgebrochen war.
    »Auf den Bergen schneit’s«, fuhr er fort. »Und dann is’ immer das
Gleiche. Der Gast geht morgens aus dem Haus, hinterlässt keine Route oder
Handynummer und wenn er abends nicht heimkommt von der Tour, dann kannst die
Bergrettung rufen, weil er dir sonst droben erfriert.« Er schüttelte den Kopf.
»Dabei saufen sie meistens nur auf der Hütte. Und dann geht der Streit um die
Kosten los.« Er vergrub die Hände noch tiefer in den Hosentaschen, stapfte die
Eingangsstufen hinunter und verschwand im Herbstdunkel.
     
    Später, als ich die Holzläden an meinem Zimmerfenster
schloss, fingen die Hirsche wieder an zu röhren. Während ich ihnen fasziniert
lauschte, fiel mir eine menschliche Gestalt auf, die sich vom Waldrand abhob.
Sie schien ein wenig hin und her zu schwanken und zu mir herüberzuschauen. Ich
machte das Licht aus, um im Dunkeln besser sehen zu können, aber als ich zum
Fenster zurückkehrte, war die Erscheinung verschwunden. Trieb sich dort jemand
herum und beobachtete den Gasthof? Ob es die Kälte war oder doch ein Gefühl von
Bedrohung – ich spürte, wie sich die Haare auf meinen Unterarmen
aufrichteten. Rasch schlug ich die dicken Fensterläden zu.

VIER
    Voller Vorfreude auf meinen ersten Morgenlauf in Alpbach ging
ich in Kapuzenpulli und Jogginghose in die Halle hinunter. Die ausgestopften
Tiere starrten mir entgegen, und der Staubgeruch kitzelte meine Nase. Gerade
als ich mir unter dem Auerhahn Mütze und Handschuhe anziehen wollte, hörte ich
aus der Wohnung des Wirtes unter der Treppe erst Poltern, dann einen Aufschlag.
    »Herr Steiner?« Ich drehte mich um und
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