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Lobgesang

Titel: Lobgesang
Autoren: Ken Scholes
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Vorspiel
    Der Sonnenaufgang über den Mahlenden Ödlanden war von schrecklicher Herrlichkeit. Die Zigeunerspäher beobachteten das Ereignis jeden Morgen von ihrem Posten auf dem Hütertor.
    Zunächst stieg in der kalten Luft der warme Geruch von Salz und Sand auf. Anschließend strömte ein tiefes Violett über den Himmel, von roten Adern durchzogen, die sich verwirbelten und über den flachen Horizont ausbreiteten. Jenseits der niedrigen Hügel, zwischen denen die Whymerische Straße in die Verheerung der Alten Welt führte, erstreckten sich Land und Himmel ins Unendliche. Und zu diesem Zeitpunkt, ehe die Sonne rot und zornig wie eine emporgereckte Faust aufging, lag die Welt reglos und stumm.
    Gerade in diesem Augenblick ging dem Wachhauptmann am heutigen Tag ein brauner Vogel ins Netz.
    Er rollte die winzige Nachricht auf, die der Vogel gebracht hatte, und kniff gegen das purpurrote Licht aus dem Osten die Augen zusammen. Dann stieß er einen Pfiff aus, um seine Männer in die dritte Warnstufe zu versetzen, und beobachtete, wie sich die vordersten Wächter magifizierten, um in den morgendlichen Schatten unterzutauchen.
    Eilig verschlüsselte er eine Nachricht an Aedric, den Ersten Hauptmann von Rudolfos Zigeunerspähern, und reichte sie seinem Vogelpfleger. »Lass das der Siebten Waldresidenz zukommen«, sagte er.
    Dann stieg er die Stufen zum Fundament des gewaltigen
verschlossenen Tores hinab und blieb mit verschränkten Armen etwas abseits stehen.
    Ein Metallmann im Talar nähert sich aus dem Westen. Das war höchst ungewöhnlich. Die Metallmänner General Rudolfos arbeiteten alle in der Bibliothek. Isaak, ihr Anführer, war der Einzige aus ihren Reihen, der einen Talar trug. Der Wachhauptmann suchte mit den Augen die Straße ab, die sich von jenseits der zerklüfteten Felshügel aus westlicher Richtung hierherschlängelte. Dieser Weg führte nur in eine einzige Stadt.
    Windwir . Heute ein verheerter Ort, weil die Androfranziner nicht hatten genug bekommen können: Sie hatten Xhum Y’Zirs Sieben Kakophonische Tode aus der Vergessenheit zurückgeholt, und dieser Bannspruch war ihr Untergang gewesen. Eine ganze Stadt und der dort ansässige Orden waren ausgelöscht worden, ihre lange Wacht über das Licht, über das Wissen der Alten Welt, die vor zweitausend Jahren demselben Bannspruch zum Opfer gefallen war, hatte ein Ende gefunden.
    Und nun sah es aus, als würde der Metallmann, der den Bann gesprochen und das Verhängnis über die Androfranziner gebracht hatte, diesen Wachposten unangekündigt aufsuchen. »Höchst ungewöhnlich«, sagte der Wachhauptmann laut.
    Er blickte auf die Straße, wo er seine Männer trotz der Magifizienten, die sie verbargen, mühelos orten konnte. Ein jeder von ihnen verursachte eine leichte Brise, in der sich Grashalme und Kiefernzweige sanft bogen, während die unsichtbaren Späher ihre Stellungen bezogen. Letztes Jahr während des Krieges war er noch Leutnant gewesen und mit seinen Männern gelaufen. Nun trennte ihn das zweischneidige Schwert des Aufstiegs von ihnen, und mit dem Aufstieg war ein neuer Einsatz hier in den Bergen einhergegangen, die die Grenze zwischen Neuer und Alter Welt bildeten.
    Vögel flitzten über die riesigen Steine der Whymerischen Straße, der Wind drehte und trug den Klang von Metallschritten heran.

    Eine Gestalt im Talar humpelte in Sicht, sie pfiff und gluckerte. Eines ihrer Juwelenaugen hing an einem Strang aus Golddrähten herab, das andere rollte teilnahmslos in seiner Höhle hin und her, die Schließe aufgebogen. Der Wachhauptmann trat vor und wollte schon Befehle brüllen – Rudolfo würde jeden köpfen lassen, der einem seiner Freunde Hilfe verweigerte, und der Metallmann Isaak war für den Zigeunerkönig eher ein Familienmitglied als ein Freund. Aber er zögerte.
    »Bruder Isaak?«
    Der Metallmann sah auf. Seine Stimme blubberte, die Blasebälge pfiffen. »Mein Name ist Charles«, sagte der Metallmann mit feuchter Stimme. »Ich bin der Erzmaschinist der Mechanischen Studien des Androfranziner-Ordens in Windwir. Ich bringe eine dringende Nachricht für den Verborgenen Papst Petronus: Die Bibliothek ist durch Verrat gefallen. Sanctorum Lux muss beschützt werden.« Mit einem Klicken und einem Klacken fiel der Automat zu einem Haufen dampfenden Metalls zusammen, aus dem Funken sprühten, und der ein oder andere Knall ertönte.
    Der Wachhauptmann rief nach einem weiteren Vogel und pfiff seine Männer aus dem Wald zu sich.
    Hoch darüber zog ein
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