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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut
Autoren: Ines Eberl
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lauschte. »Herr Steiner?« Auch ein
kräftiger alter Mann wie der Wirt konnte gestürzt sein und nun hilflos am Boden
liegen. Ich ging zur Wohnungstür und klopfte. »Herr Steiner!«
    Ein erstickter Laut war die Antwort. Rasch drückte ich die Klinke
herunter. Die Tür war nicht verschlossen. Im Flur stand der alte Wenghofer und
stützte sich auf eine bemalte Bauerntruhe. Er sah mir erschrocken entgegen und
bebte am ganzen Körper. Auf dem Boden lag ein zwei Meter langer, dicker
Holzstock mit einer eisernen Spitze. Ich stieg über den Stock und fasste den
alten Mann am Ellenbogen.
    »Herr Wenghofer«, sagte ich laut und deutlich. »Geht es Ihnen nicht gut?
Ist Ihnen schwindlig geworden?« Er atmete schwer, aber ich spürte, wie das
Zittern nachließ. »Haben Sie öfter Kreislaufprobleme?«
    Wenghofer hob den Kopf und starrte auf die Wand über der Bauerntruhe.
Zwischen auf Holzschilder montierten Geweihen hing dort der ausgestopfte Kopf
einer schneeweißen Gams. Ihr kräftiger Hals wuchs aus einem schweren, barock
geschnitzten Ebenholzschild. Den Kopf hielt sie in stolzer Geste nach rechts
gewandt und starrte hochmütig mit glänzenden Glasaugen über uns hinweg. Wie
eine Krone trug sie ihre schwarzen Hörner auf der seidigen Stirn. Ich hatte
noch nie eine Albino-Gams gesehen und konnte mich kaum von dem Anblick
losreißen. Am unteren Rand des Schildes stand in silberner Schreibschrift:
»Geieralm 1968«.
    »Der Fallott.« Wenghofer blickte mit seinen Luchsaugen hin und her. »So
ein Fallott.«
    »Herr Wenghofer …« Ich fasste seinen Arm fester und versuchte, den
alten Mann in Richtung Wohnungstür zu ziehen. Aber der stand wie angewurzelt
und fixierte den Gamskopf.
    »Der elende Hund.« Seine Stimme klang, als könnte er sich nicht zwischen
Wut und Tränen entscheiden.
    »Herr Wenghofer, kommen Sie doch …«
    »Den, wenn ich erwisch!«
    »Ist ja gut, jetzt beruhigen Sie sich erst einmal.« Ich zeigte auf den
langen Stock am Boden. »Gehört der Ihnen?«
    Der Alte folgte meinem Blick. »Das ist der Bergstecken vom … vom
Vinzenz.«
    Offenbar war dem alten Mann schwindlig geworden und er hatte versucht,
sich daran festzuhalten. Ich lehnte den Stock gegen die Truhe.
    »So, Herr Wenghofer«, sagte ich. »Jetzt kommen Sie mit, und wir messen
zur Sicherheit Ihren Blutdruck. Nehmen Sie irgendwelche Blutdruckmedikamente?«
    Wenghofer schüttelte den Kopf.
    »Na, dann liegt’s vielleicht auch nur am Wetterumschwung. Ich gebe Ihnen
auf alle Fälle Kreislauftropfen.«
    Der Alte entwand mir seinen Arm. Er funkelte mich mit seinen schrägen
Luchsaugen an, als wollte er gleich auf mich losgehen. Jetzt wurde ich stutzig.
    »Was tun Sie hier eigentlich?«, fragte ich. »Suchen Sie den Wirt?«
    Erst dachte ich, er hätte die Frage nicht verstanden, doch dann antwortete
er, auf einmal ganz ruhig. »Das Warmwasser in meinem Bad funktioniert mal
wieder nicht.« Ohne mir weitere Beachtung zu schenken, humpelte er an mir
vorbei und verließ die Wohnung.
    Ich folgte ihm. Etwas wackelig auf den Beinen durchquerte er die Halle
und klammerte sich an das geschnitzte Geländer, als er mühsam die Treppe
hochstieg. Plötzlich wurde die Eingangstür aufgestoßen, ein kalter Luftzug fuhr
durch die Halle. Holzpantinen klapperten über den Steinboden. Wenghofer drehte
sich langsam um.
    »Schnüffelst wieder rum, Alter? Soll ich dir helfen?« Mitten in der Halle
stand breitbeinig der dicke Mann, dem ich am ersten Abend den kranken Fuchs
übergeben und den der Wirt Schorsch genannt hatte. Er war eigentlich weniger
dick als kräftig gebaut. Sein Gesicht unter dem dichten kastanienbraunen, an
den Schläfen grauen Haar war gerötet, sein starker Hals verschwand in dem
abgestoßenen Kragen eines Flanellhemds, und sein mit Flecken übersäter
dunkelgrüner Pullover spannte über breiten Schultern. In den klobigen Händen
hielt er einen Schraubenzieher. Er starrte zu Wenghofer auf der Treppe hoch.
    Der umklammerte mit beiden Händen das Geländer. »Verreck’n sollst, Kaml«,
krächzte er. »Mit dir red ich nicht.« Er wedelte mit dem linken Arm in unsere
Richtung und setzte seinen Aufstieg fort.
    Schorsch Kaml sah ihm mit unbewegter Miene nach. Als er sich schließlich
umdrehte, fiel sein Blick auf die noch immer offene Wohnungstür. Sofort zog er
die Brauen zusammen und runzelte die Stirn. »Ist der Wirt da drin?«, fragte er.
    »Nein«, sagte ich. »Keine Ahnung, wo der ist.« Ohne ihm weitere Beachtung
zu schenken, verließ ich die
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