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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut
Autoren: Ines Eberl
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Regen kurz vor Alpbach nachließ, machten sich die Verspannungen
in Nacken und Rücken, die lange Bewegungslosigkeit bei mir stets auslöst,
schmerzhaft bemerkbar. Obwohl mein Ziel nicht mehr weit war, beschloss ich,
eine Pause einzulegen, lenkte den Landrover auf das Straßenbankett und stellte
den Motor ab. Dann griff ich nach meiner alten grünen Wachsjacke, öffnete die
Tür und ließ mich vom hohen Fahrersitz auf die Straße gleiten.
    Trotz der einbrechenden Dunkelheit konnte ich die Umrisse der Umgebung
noch gut erkennen. Vor mir lag eine stille Landschaft von ganz eigener
Schönheit: vor Nässe glitzernde Weideflächen, durchzogen von dunklen
Holzzäunen, ein paar verstreute Gehöfte, und, am Horizont, die schwarzen
Schatten hoch aufragender Berge.
    In der Ferne konnte ich die Lichter von Alpbach erkennen. Zufrieden
schloss ich die Augen und nahm einen tiefen Zug von der kühlen, klaren Luft.
Ich spürte, wie sich meine Lunge weitete und mein Kopf nach der Fahrt im neu
riechenden Wageninneren wieder klar wurde.
    Erst vor acht Wochen hatte ich mich um die seit Monaten unbesetzte
Kassenstelle in Alpbach beworben und sie mit unerwarteter Schnelligkeit nur
wenige Tage später zugeteilt bekommen. Ich sei die einzige Bewerberin gewesen,
hatte der Zuständige in der Salzburger Gebietskrankenkasse gemeint und mir
dabei einen mitleidigen Blick zugeworfen. Und ob das wirklich der richtige Job
für eine junge Frau sei, hatte er gefragt. Ich hatte ihn keiner Antwort gewürdigt.
    Auf einmal hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Ich öffnete die
Augen. Zwei phosphorgrüne Kreise schwebten nur wenige Meter neben mir dicht
über dem Boden. Tieraugen, die das Standlicht des Landrover reflektierten.
Vorsichtig näherte ich mich dem geblendeten Geschöpf, um es nicht
aufzuscheuchen. Doch das Tier rührte sich nicht. Im Dämmerlicht erkannte ich
einen jungen Fuchs, der reglos am Wiesenrand lag. Behutsam ging ich vor ihm in
die Hocke. Unter dem dunkel verklebten Fell schien das Tier nur aus Knochen zu
bestehen. Sein Atem ging flach, und die schwarz geränderten Augen waren
verkrustet und starrten ins Leere. Ich war nicht sicher, ob ich das Tier retten
konnte, doch mein ärztliches Berufsethos befahl mir, es wenigstens zu versuchen.
Kurz entschlossen zog ich meine Wachsjacke aus, hüllte den apathischen Fuchs in
den festen Stoff und trug das Bündel zum Landrover, wo ich es auf dem
Beifahrersitz verstaute. Dann startete ich den Wagen und lenkte meinen
Krankentransport in Richtung der vor mir liegenden Lichter.
    Kurze Zeit später passierte ich die Ortseinfahrt von Alpbach und fuhr im
Schritttempo die menschenleere Hauptstraße entlang. Dabei hielt ich nach dem
Praxisschild eines Tierarztes Ausschau. Nur wenige Autos parkten am Straßenrand
zwischen mit bunten Dahlien bepflanzten Holztrögen. Dahinter standen weiß
verputzte Häuser im Alpenlandstil mit Satteldächern und geschnitzten Holzbalkonen.
In vielen Fenstern brannte Licht, doch an allen waren die Vorhänge zugezogen.
    Ich kam an einem Sportgeschäft vorbei, dessen hell erleuchtete Schaufenster
mit Bergsportzubehör dekoriert waren, dann an mehreren Souvenirläden, einem
Lebensmittelgeschäft und einem liebevoll geschmückten Blumenladen. An einem
würfelförmigen Neubau glänzte das Messingschild einer Anwaltskanzlei, und ein
paar Meter weiter stach mir der Neonschriftzug einer Bank ins Auge. Eine
Tierarztpraxis fand ich nicht.
    Auf dem Dorfplatz hielt ich an. Zu meiner Rechten lag, halb verdeckt von
einer alten Kastanie, das Gemeindeamt. Zu meiner Linken erhob sich eine barocke
Kirche, deren rosa-weißer Zwiebelturm hinter einer Natursteinmauer aufragte.
Durch das offene Tor konnte ich Gräber mit schmiedeeisernen Kreuzen und
kleinen, rot flackernden Lichtern sehen.
    Eine Gestalt trat aus dem Kirchenportal. Der Mann im langen schwarzen
Mantel, wohl der Pfarrer, schickte einen raschen Blick zum Himmel empor. Dann
spannte er, obwohl es kaum noch regnete, einen großen schwarzen Schirm auf und
eilte über den gräbergesäumten Weg in Richtung des Tores. Sofort ließ ich das
Fenster hinunter.
    »Hallo«, rief ich. »Sie! Entschuldigung …!«
    Der Mann blieb stehen, hob den Schirm und wandte sich in meine Richtung.
Sein weißer Kragen blitzte auf. Kurz blickte er nach links und rechts, dann
überquerte er den Platz und kam auf mich zu. Er beugte sich zum Fahrerfenster
vor, wobei er den Schirm über sich hielt.
    »Guten Abend, Fräulein«, sagte er. »Meinten Sie
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