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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut
Autoren: Ines Eberl
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Bissen in den Mund schob, erschien der Wirt in der
Gaststube. Er ging von Tisch zu Tisch und wechselte mit jedem seiner Gäste ein
paar Worte. Schließlich blieb er bei mir stehen und stützte die Hände auf die
Lehne eines freien Stuhles.
    »Und? Schmeckt’s?«, erkundigte er sich.
    Ich nickte mit vollem Mund.
    »Den Hirsch hab ich selbst geschossen. Und ich behalt mir für die Küche
nur die besten Stücke.« Er machte eine Pause. »Ihr Fuchs ist tot.«
    Ich schluckte das Stück Fleisch hinunter. Dann tupfte ich mir mit der
grünen Papierserviette den Mund ab. »Die Staupe?« Ich griff nach meinem
Rotweinglas und schwenkte es ein wenig.
    »Natürlich.« In seiner Stimme lag eine Spur von Triumph. »Der Thurner
Viktor hat ihm die Spritze gegeben. Ich wollt’s Ihnen nur sagen.«
    Ich trank den Zweigelt aus. »Danke«, sagte ich. »Wenn Sie Auslagen hatten …«
    »Machen S’ des mit dem Viktor aus.«
    »Gut.« Ich stand auf. »Und jetzt würde ich gerne auf mein Zimmer gehen.«
    Vinzenz Steiner nahm die Hände von der Stuhllehne. »Ich zeig’s Ihnen. Das
Gepäck hab ich schon raufbringen lassen. Und Ihre Jacke ist auch zurück.«
    Ich folgte dem Wirt in die Halle mit den ausgestopften Tieren. Von dem
Schlüsselbrett über dem Holztisch nahm er einen großen Schlüssel von einem der
Messinghaken. Der präparierte grauschwarze Kopf einer Gams starrte mit
glasäugigem Blick auf uns herab. Ob irgendwer auch den kleinen Fuchs ausstopfen
würde?
    »Ihr Zimmer liegt im ersten Stock«, sagte Steiner, während er vor mir die
knarrende Holztreppe hinaufstieg. »Ganz ruhig, nach hinten raus. Die 11.«
    Die Nummer 11 war das erste Zimmer auf dem Gang, gleich neben dem
Treppenabsatz. Der Wirt schloss die Tür auf und knipste das Licht an. Die
gelben Leinenvorhänge an den Fenstern waren zugezogen, und die Bettdecke in dem
riesigen Himmelbett war zurückgeschlagen. Mein mit Abziehbildern aus aller Welt
bekleb-ter Aluminiumkoffer wartete bereits vor einem bemalten Bauernschrank.
Auf einem Ohrensessel stand die Arzttasche aus abgeschabtem braunem Leder, die
schon meinen Vater und Großvater auf ihren Visiten begleitet hatte. Es roch ein
wenig nach Putzmittel.
    »Sehr schön.« Das Zimmer strahlte genau die alpenländische Ruhe und
Gemütlichkeit aus, nach der sich der gestresste Großstädter sehnte. Ich wusste
auf Anhieb, dass ich mich hier wohlfühlen würde.
    »Nicht wahr? Also, dann wünsch ich Ihnen eine gute erste Nacht. Frühstück
gibt es ab halb sieben.« Steiner wandte sich zum Gehen, blieb aber noch kurz
vor der geöffneten Zimmertür stehen. Die alten Dielenbretter knarzten, als er
sich zu mir umwandte. »Eh ich’s vergess – den Bauernschrank im Vorraum
können S’ nicht benutzen. Da sind alte Buchhaltungsunterlagen drin. Der
Kleiderschrank steht neben dem Bad.«
    Jemand, den ich nicht sehen konnte, stieg die Treppe hinunter.
    »Also, schlafen S’ gut«, sagte Steiner noch.
    Als er gegangen war, besah ich mir den Bauernschrank, ein bemaltes
Ungetüm. In dem geschmiedeten Eisenschloss steckte ein Schlüssel. Ich drückte
mit den Fingern probeweise gegen die Tür. Sofort machte der Schlüssel eine
Vierteldrehung im Schloss, und die Tür sprang auf. Ich wich einen Schritt
zurück, um nicht von einer harten Holzkante getroffen zu werden. Im Inneren des
Schrankes lagerten mehrere Reihen abgegriffener schwarzer Aktenordner und ein
paar Stapel vergilbten Papiers. Ich versuchte, den Schrank wieder zu
verschließen, doch es gelang mir erst, als ich mich gegen die bemalte Tür
drückte und den Schlüssel drehte und abzog. Wohin jetzt mit dem Schlüssel? Ich
steckte ihn in die Tasche meiner Wachsjacke, die schon an der Garderobe hing,
mit dem Vorsatz, ihn anderntags dem Wirt zu geben, weil ich den Schrank ohnehin
nicht nutzen konnte.
    In der Nacht weckte mich ein lautes Knarzen. Im Halbschlaf lauschte ich
dem Geräusch hinterher, doch ich hörte nur das Knacken, Knarren und Ächzen der
Holzbalken des alten Gasthofes. Es klang, als atme der Jagawirt im Schlaf.

DREI
    Die Gaststube war gut geheizt. Die Lampen über den Tischen
verbreiteten warmes Licht, und es roch nach Kaffee und frischem Gebäck. Die
Tische waren mit grünweiß geflammter Gmundner Keramik gedeckt, und auf jedem
Teller lag eine Papierserviette. Ich setzte mich wieder an den warmen
Kachelofen.
    Das Ehepaar, das am Abend in der Stube Karten gespielt hatte, saß zwei
Tische weiter. Die beiden trugen karierte Holzfällerhemden und Halstücher
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