Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut
Autoren: Ines Eberl
Vom Netzwerk:
‘leicht mich?« Sein Ton
war höflich, aber ein wenig ungeduldig. Obwohl er Hochdeutsch sprach, war der
Dialekt nicht zu überhören.
    »Ja, bitte, ich brauche dringend einen Tierarzt.« Der Pfarrer würde wohl
alle Schäfchen seiner Gemeinde kennen.
    »Einen Tierarzt? Suchen S’ den Dr. Thurner?« Sein scharf
geschnittenes Gesicht wurde von einer schnabelartigen Nase beherrscht, die ihm
das Aussehen eines Geiers verlieh. Der Eindruck wurde noch durch den dicken
schwarzen Wollschal verstärkt, der wie ein breiter Kragen um seinen Hals lag.
    Ich zeigte auf das Bündel auf dem Beifahrersitz. »Den hab ich kurz vor
der Ortseinfahrt am Straßenrand gefunden.«
    »Ach so.« Der Pfarrer warf einen Blick ins Wageninnere, dann schüttelte
er den Kopf. »Ein Fuchs. Da müssen S’ dem Jaga Bescheid geben.«
    »Wem?«
    »Dem Revierpächter, dem Jäger«, wiederholte er. »Das wär in dem Fall der
Steiner Vinzenz. Der Wirt vom Jagawirt.«
    »Und der verständigt dann den Tierarzt? Das wäre toll.« Meine
Erleichterung musste mir anzuhören sein, denn zum ersten Mal erschien ein
Lächeln auf dem Gesicht des Pfarrers. »Ich bin ohnehin auf dem Weg zum
Jagawirt. Ist das noch weit von hier?«
    Der Priester hob die Brauen. »Der Jagawirt?«, fragte er. Seine etwas
stechenden Augen musterten mich aufmerksam. »Da wollen S’ jetzt noch hin?
Das ist ein Stück außerhalb vom Ort.«
    Ich nickte und klimperte mit dem Zündschlüssel.
    »Wenn S’ ein Zimmer suchen, fragen S’ doch lieber gleich da
drüben.« Er zeigte mit dem Schirm auf den stattlichen Gasthof neben dem
Gemeindeamt, auf dessen Fassade eine von vier Apfelschimmeln gezogene
Postkutsche prangte. Unter den hell erleuchteten Fenstern hingen üppig gefüllte
Blumenkästen. Über der Tür stand in barocker Schrift: »Zur Alten Post«. In
diesem Moment trat ein Paar aus dem Gasthof auf die Straße. Gedämpfte
Volksmusikklänge waren zu hören, ehe die Tür wieder zuschlug. »In der Post
sollte es kein Problem sein, ein Bett zu bekommen. Jetzt in der Nachsaison
schon gar nicht. Die Wirtsleut sind sehr um ihre Gäste bemüht.«
    Ich schüttelte den Kopf und drehte den Zündschlüssel im Schloss. Mit
lautem Nageln sprang der Dieselmotor an. »Danke, aber der Jagawirt ist mir von
Freunden empfohlen worden. Ich hab dort auch schon ein Zimmer bestellt.« Der
Pfarrer kniff den Mund zusammen, und seine Schnabelnase schien noch weiter
hervorzustechen. War er etwa beleidigt, weil ich seinen Rat nicht annehmen
wollte? »Ich wohne gerne außerhalb. Wenn Sie mir jetzt vielleicht den Weg
erklären …?«
    Vielleicht hatte ihn meine forsche Art verärgert, denn sein Ton war
deutlich reservierter. »Ja, sicher. Also, dann folgen S’ am besten der
Straße links vom Gemeindeamt, dann aus dem Ort hinaus, immer geradeaus zwischen
den Wiesen bis zu einer Weggabelung. Dort biegen S’ rechts ab. Und dann
können S’ den Jagawirt nicht mehr verfehlen.« Er räusperte sich. »Es ist
eine Sackgasse.« Damit trat er vom Wagen zurück.
    Ich winkte ihm zum Abschied und drückte das Gaspedal nieder. Im
Rückspiegel blähte sich seine Soutane im Fahrtwind des startenden Wagens. Eine
Weile konnte ich ihn noch auf dem Dorfplatz stehen und mir nachschauen sehen.
Dann machte die Straße eine Biegung und entzog ihn meinen Blicken.
    Der Himmel hatte aufgerissen, und der Herbstmond, der wie ein überreifer
Kürbis zwischen kupferfarbenen Wolken hing, spiegelte sich in den Wasserlachen
auf der Straße. Nach knapp zehnminütiger Fahrt mündete die Straße auf einen
kopfsteingepflasterten Vorplatz. Ich umrundete einen ausladenden Baum, der aus
einem Rondell wuchs, und fuhr an ein paar parkenden Autos vorbei. Den Landrover
stellte ich vor der breiten Eingangstür des Gasthofes ab und stieg aus.
    Der Jagawirt war ein mächtiger Bau, dessen Ursprünge sicher bis ins
Mittelalter zurückreichten. Das Erdgeschoss war gemauert, und seine sich nach
oben verjüngenden Wände waren weiß verputzt. Darüber lagen zwei
Holztramgeschosse, über denen ein weites Vordach im Mondlicht seinen Schatten
auf die Fassade warf. Die grünen Läden an den kleinen Holzsprossenfenstern
waren nicht geschlossen, und durch die zugezogenen Vorhänge im Erdgeschoss sickerte
warmes Licht. Eine schmiedeeiserne Laterne über dem Eingang schwang sacht im
Wind und beleuchtete die auf die weiße Wand gemalten roten und grünen
Buchstaben »Zum Jagawirt«.
    Plötzlich fegte ein heftiger Windstoß über den Platz und jagte mir einen
kalten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher