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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut
Autoren: Ines Eberl
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Schauer über den Rücken. Aber der Fuchs musste raus aus meiner
Wachsjacke und ins Warme. Hastig lief ich auf den Eingang zu.
    Ein paar Steinstufen führten zu einer Doppeltür hinauf. Daneben lehnte
eine Schiefertafel, wohl die Tageskarte, auf der die Kreideschrift im Regen
zerlaufen war. Rasch stieß ich die Tür auf, um mich vor dem kalten Wind in
Sicherheit zu bringen. Mit einem trockenen Laut schnappte die Türfalle hinter
mir zu.
    Im Inneren des Gasthofes herrschte gedämpftes Licht. Ich befand mich in
einer Halle, deren Wände halbhoch mit Holz getäfelt waren. Eine Treppe mit
geschnitztem Geländer führte in die oberen Stockwerke. Auf den Stufen lag ein
abgetretener Läufer, während den Boden der Eingangshalle vom Alter blank
geschliffene Steinfliesen bedeckten. Auf der Sitzfläche einer Bank links im
Raum reihten sich mit Kreuzstich bestickte Kissen.
    Es gab keine Rezeption, sondern nur einen Holztisch, auf dem ein
altmodischer Telefonapparat stand. Daneben lagen ein Stapel Zeitschriften und
ein großes Heft, wohl das Gästebuch. Darüber war ein mit Messingschlüsseln
bestücktes Schlüsselbrett an der Wand befestigt. Es war warm und roch ein wenig
nach Staub.
    »Hallo …?«, rief ich.
    Niemand erschien.
    Zwischen zahlreichen Geweihen hing eine ausgestopfte Schleiereule. Ihre
Schwingen waren wie im Flug ausgebreitet, und ihr herzförmig gezeichnetes
Gesicht schaute auf mich herab. Auf einem Ast saß ein gänsegroßer, blau
gefiederter Vogel mit halb geöffnetem Krummschnabel und von feuerroten
Augenbrauen überwölbten Glasaugen. Selten hatte ich einen so prächtigen
Auerhahn gesehen. Der Jagawirt machte seinem Namen Ehre.
    »Hallo!«
    Eine Tür, die mir bis jetzt noch nicht aufgefallen war, öffnete sich
unter der Treppe, und ein weißhaariger Mann in einem grauen Walkjanker und
Kniebundhosen betrat die Halle. Er wirkte zunächst überrascht, doch nach kurzem
Zögern kam er mit festen Schritten auf mich zu.
    »Guten Abend, Fräulein.« Obwohl er an die siebzig sein musste, klang
seine Stimme voll und tief. »Sie müssen schon entschuldigen …«
    »Guten Abend«, sagte ich und streckte ihm eilig die Hand entgegen.
»Canisius. Aus Wien. Wir haben telefoniert.«
    »Ja.« Der Alte nickte. »Weiß schon. Die neue Frau Doktor. Vinzenz Steiner
mein Name. Ich bin der Wirt. Herzlich willkommen im Jagawirt.«
    Ich ergriff kurz seine knochige Hand, die von Altersflecken gesprenkelt
war, aber etwas überraschend Zupackendes hatte. »Herr Steiner, gut, dass ich
Sie persönlich antreffe. Ich habe einen verletzten Fuchs im Auto, und man hat
mir gesagt, dass Sie uns helfen können.«
    »Was – einem Fuchs?« Die Augen meines Wirtes weiteten sich. »Sind
Sie da sicher, Fräulein?« Sein penibel gestutzter Schnauzbart schien sich zu
sträuben. Obwohl sich ein tiefes Netz von Falten über sein Gesicht spann, war
seine gebräunte Haut straff wie bei vielen Menschen, die einen Großteil ihres
Lebens im Freien verbrachten.
    »Natürlich bin ich sicher, kommen Sie mit.« Ich merkte selbst, wie
ungeduldig ich klang, aber mein Patient musste versorgt werden.
    Ich drehte mich um und verließ die Halle, ohne mich zu vergewissern, ob
mein Wirt mir auch folgte. Doch als ich die Beifahrertür des Landrover öffnete,
stand er neben mir. Mit zusammengekniffenen Augen spähte er ins Wageninnere,
ehe er mit einem klauenartigen Zeigefinger die Wachsjacke auseinanderzog und
deren kläglichen Inhalt musterte.
    »Ein Fuchs, ein junger«, stellte er fest.
    »Sag ich ja.« Langsam fing ich an, daran zu zweifeln, ob es wirklich eine
so gute Idee gewesen war, den Fuchs zum Jaga zu bringen. Ich hätte mir vom
Pfarrer die Adresse des Tierarztes geben lassen und direkt in die Praxis fahren
sollen.
    Vinzenz Steiner nickte. »Ich kümmer mich drum«, sagte er. »Und morgen
soll ihn der Schorsch vergraben.«
    Ich war nicht sicher, ob ich ihn richtig verstanden hatte. »Wie –
vergraben. Wir brauchen einen Tierarzt.«
    Steiners Lachen klang asthmatisch. »Das lohnt die Kosten nicht.« Er fuhr
mit der Hand an der Seitennaht seiner Bundhose entlang. Aus einer aufgesetzten
Tasche ragte ein Hirschhorngriff. Mein Wirt trug ein Jagdmesser.
    »Aber wir wissen doch gar nicht, wie schwer der Fuchs verletzt ist«,
wandte ich ein.
    Seine Mundwinkel zogen sich nach unten. »Der hat die Staupe«, sagte er
verächtlich und zeigte auf das arme Tier. »Da, sehen S’ die verklebten
Augen? Das ist die Staupe. Ein Fuchs weniger, der meinen Birkhähnen das
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