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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut
Autoren: Ines Eberl
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Stube gesehen
hatte. Sie trug eine frisch gestärkte Bluse, einen dunkelblauen Walkjanker und
einen dicken Rock mit Hahnentrittmuster. Ihre Gesichtshaut war so zart und für
ihr Alter so faltenlos, wie man es sonst nur bei Nonnen sieht. Auf eine
schlichte Art erinnerte sie an die typische englische Lady vom Land. Ein wenig
altmodisch, praktisch veranlagt und mit vernünftigen Schuhen. Sie lächelte und
musterte mich dabei aus eigenartig silbrig grauen Augen.
    »Na, na.« Sie streckte mir die Hand entgegen. »Ich bin das Fräulein
Steiner. Und Sie sind sicher die Frau Canisius.«
    Ich hatte noch nie eine ältere Dame gehört, die sich als Fräulein bezeichnet
hätte, und so konnte ich ein Lächeln nicht unterdrücken, als ich ihre Hand
ergriff. Sie packte überraschend fest zu. Und auf einmal wusste ich, an wen sie
mich erinnerte.
    »Sie sind eine Verwandte vom Wirt, stimmt’s?«
    »Die Schwester, ja.« Ein leichter Wind blies über den Vorplatz und ließ
aus dem toten Laub zu unseren Füßen den Geruch von nasser Erde und Moder
aufsteigen. »Johanna.«
    Mir fiel auf, dass Fräulein Steiners feste Schnürschuhe dick mit Lehm
verschmiert waren. »Waren Sie schon spazieren?«
    Der Blick der hellen Augen war meinem gefolgt. »Ich bin gern in der
Natur«, sagte sie etwas verlegen. »Zu jeder Tageszeit.«
    »Ich auch«, sagte ich. »Normalerweise laufe ich jeden Morgen mindestens
eine Stunde.« Ich sah zu den Wiesen hinter der Linde hinüber. »Vielleicht
können Sie mir ja einen Tipp für meine Morgenrunde geben.«
    »Natürlich, gern.« Sie schob die Hände in die Taschen ihres Walkjankers.
»Heut laufen S’ nicht?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin um halb zehn in der … der
Kirchengasse 10 verabredet. In der Ordination, meine ich. Ich will die
Praxis so schnell wie möglich wieder aufmachen.« Ich räusperte mich. »Hatte Dr. Mooslechner
eigentlich viele Patienten? War er im Ort beliebt?«
    Fräulein Steiner zuckte die Schultern. »Der Mooslechner Adi konnt mit den
Leuten. Aber ich bin beim Dr. Loidl, drüben in St. Bartholomä.« Sie
zog einen Schlüsselbund aus der Jackentasche und spielte mit dem großen
Silberherz, das mit an dem Ring hing. »Der macht auch die Vertretung, bis der
neue Arzt aufsperrt. So, und jetzt muss ich in die Küche.« Sie strahlte mich
an. »Ich backe zum Schulbeginn immer die Bauernkrapfen für den
Pfarrkindergarten.«
    Bauernkrapfen . Ich konnte den warmen
Zimt- und Vanilleduft fast riechen. »Lecker«, sagte ich. »Kann man davon eine
Kostprobe haben?«
    »Ich leg Ihnen zwei Stück zur Seite.« Fräulein Steiner nickte mir noch
einmal freundlich zu, dann stieg sie an mir vorbei die Stufen hinauf.
    Die schwere Tür fiel mit dem ihr eigenen trockenen Schnappen ins Schloss.
Ich ging zu meinem Landrover hinüber und machte mich auf den Weg zu meinem
künftigen Arbeitsplatz.
     
    Im Ort herrschte reger Verkehr. Die Fassaden der Häuser
strahlten in der Morgensonne, und ihre Balkonkästen verschwanden unter einer
leuchtend bunten Blumenpracht. Scharen von Touristen in Wanderkleidung
bevölkerten die Gehwege. Vor dem Kirchentor standen zwei ältere Männer und eine
Frau mit einem vollen Einkaufskorb schwatzend beisammen. Ein Eichhörnchen
sprang von der laubbedeckten Friedhofsmauer und flitzte direkt vor meinem Defender
über die Straße.
    Die Kirchengasse lag hinter dem Friedhof und gehörte sicher zum alten
Kern von Alpbach. Dr. Adolf Mooslechner hatte seine Praxis in einem von
mehreren Bauernhäusern eingerichtet, die mit kleinen vergitterten Fenstern,
windschiefen grünen Läden und eisenbeschlagenen Türen die Gasse säumten. Auch
die Fenster der Ordination waren vergittert. Hinter den Gittern standen
Tontöpfe mit roten Geranien, aber zwischen Hausmauer und Straße wucherte
Unkraut. Die Holztür hatte einen dicken Stahlgriff und ein modernes
Sicherheitsschloss. An der Hausmauer hing ein blankes Messingschild mit den
Ordinationszeiten. Ich fasste den Stahlgriff und drückte die Tür auf.
    Im Inneren des Hauses brannte Licht, und es war angenehm warm. In dem
großzügigen Flur lagen abgetretene Teppiche auf den Holzdielen und verströmten
einen muffigen Geruch. An den Wänden reihten sich zu beiden Seiten mit rissigem
weißem Kunstleder bezogene Stahlrohrstühle, darüber warben Plakate für
Impfungen, Vorsorgeuntersuchungen und gesunde Ernährung.
    Rechts befanden sich zwei dicke Eichentüren. An der einen hing ein
Messingschild mit der Aufschrift »Anmeldung«, an der anderen
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