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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut
Autoren: Ines Eberl
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neue Stelle …«
    »Nein, hab ich nicht.« Ein strahlendes Lächeln erschien auf ihrem
Gesicht. Ein wenig schüchtern setzte sie hinzu: »Wissen Sie, ich hab Sie mir
ganz anders vorgestellt.«
    »Wissen Sie«, sagte ich, »ich Sie mir auch.«
     
    Den Nachmittag verbrachten wir damit, die Patientenkartei
durchzusehen. Miranda stellte mir eine Liste zuverlässiger Handwerker im Ort
zusammen, ich schrieb die Nummern zweier medizinischer Ausstatter dazu, von
denen ich Angebote einholen wollte, sowie die des Pharmavertreters, mit dem ich
schon am Krankenhaus in Wien zusammengearbeitet hatte. Beim
Entrümpelungsunternehmen meldete sich leider niemand. Es war schon gegen fünf,
als Miranda mir meinen Praxisschlüssel aushändigte und sich verabschiedete.
    Ich wollte gerade gehen, da stach mir die Eichentür mit dem Schild »Privat«
ins Auge. Dr. Mooslechner hatte diesen Raum, so hatte Miranda mir erzählt,
vor allem als privates Arbeitszimmer genutzt. Ich beschloss, noch einen Blick
hineinzuwerfen.
    Das Zimmer war mit Zirbenholz getäfelt, und an allen Wänden waren
Bücherregale eingebaut, zwischen denen Landkarten hingen. Auf der Holzdecke war
ein gemalter Lebensbaum mit Blättern und Früchten zu erkennen, und auf dem
Boden lag ein abgetretener Kelim mit einem rot-blauen Muster.
    Mitten im Zimmer stand ein mit Papieren bedeckter alter Bündner Tisch.
Eine mit Bauernrosen bemalte Henkeltasse, unter deren Goldrand eingetrockneter
Kaffee braune Jahresringe hinterlassen hatte, eine halb abgebrannte Kerze und
zwei verkohlte Hölzchen auf einer Packung Streichhölzer vermittelten den
Eindruck, als habe ihr Eigentümer das Zimmer erst gestern verlassen. Auf allem lag
eine dicke Staubschicht, und auch die Heizung hatte man wohl nach dem Tod des
alten Arztes im Frühjahr nicht mehr eingeschaltet, denn es war bitterkalt.
Anscheinend betraten weder die Putzfrau noch Miranda diesen Raum.
    Ich überflog die Titel der medizinischen und geschichtlichen Bücher, die
Landschaftsbildbände und Stapel zerlesener Jagdzeitschriften. In einem Regal
reihten sich ordentlich mit einer altmodischen Handschrift versehene
Aktenordner. Umgeben von den persönlichen Dingen des alten Arztes war mir fast,
als spürte ich seine Anwesenheit. Ob er sich wohl gerade mich als Nachfolgerin
ausgesucht hätte?
    Ich ging zum Tisch hinüber und setzte mich in den roten Sessel, der
dahinter stand. In die alte Polsterung hatten sich die Umrisse meines
Vorgängers eingegraben. Die fast intime Berührung war mir unangenehm. Den
Sessel würde ich so bald wie möglich austauschen oder neu beziehen lassen.
    Vor mir lagen etliche Papiere, aber draußen wurde das abendliche Licht
diffuser, und ich konnte kaum mehr lesen. Vergeblich drückte ich auf den
Schalter der Tischlampe, die Birne war wohl ausgebrannt. Also nahm ich die
Packung Streichhölzer, riss ein Hölzchen an und entzündete die Kerze vor mir.
Sofort begann die Flamme in der kalten Luft zu flackern.
    In ihrem unruhigen Schein überflog ich rasch die Unterlagen auf dem
Tisch. Eine Liste medizinischer Neuerscheinungen, ein schmaler, offensichtlich
antiquarischer Band mit dem Titel »Die Protestantenverfolgung in Salzburg«, die
Rechnung eines Jagdausstatters über Munition und einen Gewehrriemen und mit
unleserlichen Kürzeln versehene Notizzettel. Unter einem Prospekt für eine Jagdreise
nach Ungarn fand ich ein in Leder gebundenes Notizbuch. Zwischen eilig
notierten Adressen und Telefonnummern steckte darin als Lesezeichen ein
liniertes Blatt, darauf in der mir nun schon bekannten altmodischen Schrift ein
Gedicht.
     
    So geh ich heut von meinem Haus,
    Die Kinder muss ich lassen;
    Mein Gott, das treibt mir Tränen aus,
    Zu wandern fremde Straßen.
     
    Stammte dieses Gebet vom verstorbenen Eigentümer dieses
Hauses? Hatte er vielleicht Kinder gehabt und sie früh verloren? Und hatte er
Hilfe bei seinem Gott gefunden?
    In den Zimmerecken der Stube hatten sich bereits Schatten eingenistet,
und das unruhige Kerzenlicht zuckte über die Holztäfelung. Direkt vor mir
konnte ich mehrere Löcher auf einer verblichenen Stelle im Holz erkennen. Etwas
musste dort lange Zeit gehangen haben, ehe man es abgenommen hatte. Die Kerze
begann zu blaken, ihr Docht war fast heruntergebrannt. Allmählich wurde mir in
dem ungeheizten Zimmer kalt. Ich legte das Blatt mit dem Gebet wieder in das
Notizbuch zurück und zog die Haustürschlüssel aus der Jackentasche. Dann blies
ich die Kerze aus.
    Als ich auf die Kirchengasse
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