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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut
Autoren: Ines Eberl
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stand »Labor«.
Auch links gab es zwei Türen mit Schildern. Auf dem ersten stand
»Behandlungsraum«, auf dem dahinterliegenden »Privat«. Eine dunkle Holztreppe
führte in den ersten Stock.
    Das Anmeldezimmer war in gleißendes Neonlicht getaucht. Auf einem
abgewetzten roten Kelim stand ein Schreibtisch aus hellem Holz, darauf ein
klobiger alter Computerbildschirm samt Tastaturbrett, eine steinzeitliche
Telefonanlage und zwei hölzerne Karteikästen. Ein riesiger Gummibaum mit
fettglänzenden Blättern verhinderte den Einfall von Tageslicht durch die
schönen Holzsprossenfenster. Niemand war zu sehen.
    »Hallo?«
    Der Gummibaum geriet in Bewegung. Zwischen seinen Blättern tauchte der
blonde Kopf einer jungen Frau auf. Sie blickte mich an, klimperte kurz mit
ihren getuschten Wimpern, dann erschien ein Lächeln auf ihrem Gesicht.
    »Frau Dr. Canisius?«
    »Ja, äh, was machen Sie denn da?« War das etwa die langjährige Sprechstundenhilfe?
    Die Frau schob eine vom Alter blinde Messingkanne durch das Blattwerk und
schwenkte sie auf und ab.
    »Der Gummibaum war am Verdursten«, verkündete sie fröhlich.
    »Aha«, sagte ich. »Wenn Sie dann fertig sind, kommen Sie doch einfach aus
dem Dschungel, damit wir uns bekannt machen können.«
    Sie kicherte. »Bin schon da.«
    Der Kopf verschwand zwischen den Blättern. Gleich darauf erschien eine
überschlanke junge Frau hinter der Topfpflanze und schüttelte ihre langen Locken
aus. Sie trug knallenge Jeans, ein noch engeres weißes T-Shirt und maß, zog man
ihre Zehn-Zentimeter-Absätze ab, kaum einen Meter sechzig.
    Lächelnd streckte sie mir ihre Hand entgegen. »Miranda«, sagte sie.
»Stadler.«
    In den nächsten zwei Stunden zeigte mir Miranda die Ordination.
Angefangen von dem völlig veralteten Computerprogramm über das von Hand
geführte Vorbestellbuch und die Diabetikerkartei im Holzkasten bis zu den
vorsintflutlichen Geräten. Mir wurde ein wenig flau bei dem Gedanken an die
notwendigen Investitionen. Doch die Ordination lag zentral, und die
Räumlichkeiten hatten, wie Immobilienmakler es nennen, Potenzial. Außerdem, das
wurde mir schon bei der ersten Durchsicht der Unterlagen klar, versorgte die
Praxis ein großes Einzugsgebiet und verfügte damit über eine stattliche Anzahl
an Patienten. Wenn ich es schaffte, einen Großteil von ihnen zu halten, musste
ich mir um mein Auskommen keine Sorgen machen.
    Gegen Mittag schickte ich Miranda los, um frischen Zwetschgenkuchen aus
der Bäckerei am Dorfplatz zu holen. Wir nahmen unser improvisiertes Mittagessen
in Gesellschaft des Gummibaumes ein.
    »Was ist eigentlich im ersten Stock?«, fragte ich.
    »Gerümpel.« Miranda stach in ihren Kuchen. »Die Räume gehören zur
Ordination, werden aber nicht genutzt.« Sie schob das Kuchenstück in den Mund.
»Schade eigentlich, denn die sind wirklich hell und sonnig.«
    Sofort war mein Interesse geweckt. »Ach ja? Könnte ich sie vielleicht als
Wohnung nutzen?« Auf Dauer konnte ich ja nicht im Gasthof bleiben.
    Miranda schüttelte den Kopf. »Keine Küche, kein Bad, kein Klo.«
    Etwas enttäuscht nahm ich einen Schluck Kaffee. »Aber vielleicht für
Behandlungszwecke«, sagte ich, denn kleinere Räume hatte ich im Erdgeschoß
nicht gesehen. »Für Infusionen und kurze Eingriffe.«
    Miranda zog mit ihrer Gabel Linien über den Zwetschgenbelag. »Also«, sie
räusperte sich, »was ich mir so gedacht habe … wir sind doch eine
Tourismusregion.«
    Ich nickte.
    »Skifahren und Snowboarden und Reiten und Wandern … da passiert ja
ständig was. Ob man nicht neben der Allgemeinmedizin auch so eine Art
sportmedizinische Praxis machen könnte? Viele Wintersportorte haben das jetzt.«
    Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Dabei war ich selbst schon
während eines Skiurlaubs am Arlberg in einer Arztpraxis gegipst worden. Und ich
hatte ziemlich lange warten müssen. Vielleicht war die finanzielle Durststrecke
doch überschaubar.
    Als ich nichts sagte, fuhr Miranda rasch fort: »Massagen und
Physiotherapie, zum Beispiel. Oder Unfallnachsorge für die Gäste. Die müssen
jetzt heimfahren oder für jede kleine Behandlung ins Krankenhaus.«
    Ich gab noch immer keine Antwort.
    Miranda biss sich auf die Unterlippe und schaute an mir vorbei. »Na ja,
vielleicht war die Idee ja auch nicht so gut.«
    Ich lehnte mich auf dem altersschwachen Stuhl zurück, verschränkte die
Arme hinter dem Kopf und sah sie ernst an. »Miranda«, sagte ich. »Das ist
genial. Ich hoffe, Sie haben noch keine
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