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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut
Autoren: Ines Eberl
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in
Steiners Wohnung gesehen hatte. Hinter dem Fahrersitz klemmte ein Gewehr mit
nach oben gerichtetem Lauf.
    »Kann ich eine Wasserflasche haben?«, fragte ich.
    »Nur zu.« Thurner nickte. »Ich hätt auch noch irgendwo eine Jause.«
    »Ich esse später«, sagte ich und angelte nach einem der Fläschchen.
    Die unbefestigte Straße wand sich in engen Serpentinen talwärts. Unter
uns breiteten sich die Baumkronen des Bergwaldes aus.
    Thurner legte die Geländeuntersetzung ein. »Sie sind aus Wien, oder?«
    »Mmm.« Ich nahm einen Schluck. »Hört man das?«
    »Daran sollten Sie arbeiten.« Es klang etwas boshaft.
    Ich setzte die Mineralwasserflasche ab. »Woran? An meiner Sprache?«
    Er nickte.
    »Und warum, bitteschön?«
    Thurner gab keine Antwort, er war aufs Fahren konzentriert. Wir tauchten
in den Wald ein, und es wurde dunkler. Kleine Bäche rannen über die
Moospolster, die an den fast senkrechten Felswänden hafteten.
    »Mit ein wenig Dialekt täten Sie sich in Alpbach leichter.« Er warf mir
einen Seitenblick zu. »Wie kommt denn jemand wie Sie überhaupt auf die Idee,
Ärztin bei uns zu werden?«
    Ich zuckte die Schultern. »Mein Großvater war Landarzt, in Tirol. Und
mein Vater hat auch als praktischer Arzt angefangen.«
    »Was heißt angefangen? Was macht er jetzt?«
    Ich zögerte. »Jetzt arbeitet er am AKH .« Es war
mir peinlich, von der Privatordination für plastische Chirurgie an der
Ringstraße zu erzählen. Er würde mich für eine überkandidelte Großstadttussi
halten. »Er ist Primararzt für … egal.« Mein Vater war Schönheitschirurg.
    »Oha.« Die Straße machte eine enge Kurve.
    »Und außerdem halt ich’s in der Stadt nicht aus«, fuhr ich fort und
schaute aus dem Beifahrerfenster. »Ich bin ein Naturmensch.« Vor mir fiel der
felsige Hang steil ab. So viel Natur brauchte ich nun auch nicht. Ich hielt
unwillkürlich die Luft an.
    Thurner schien mein Unbehagen nicht zu bemerken. »Und da hast kurzerhand
beschlossen, ab jetzt die Eingeborenen zu heilen?« Er war zum auf dem Land
üblichen Du übergegangen. Ich ertappte mich dabei, dass ich mich geschmeichelt
fühlte. »Weißt du auch, was das heißt?«
    »Dass es anstrengend wird. Das, äh, willst du doch sagen, oder?« Ich
stolperte noch ein wenig über das Du. Aber ich fand, dass ich Fortschritte
machte. Zumindest, was die Sprachgewohnheiten der Einheimischen betraf.
    »Du darfst dich halt nicht vor Nähe fürchten, hier bei uns. Das ist was
anderes als im Krankenhaus.« Der Wagen holperte durch ausgewaschene Spurrinnen.
»Du hast Patienten vom Säugling bis zum Hundertjährigen. Krankheiten von Husten
über Krebs bis Alkoholismus und Alzheimer. Und kein Facharzt um die Ecke.«
    »Ich war drei Jahre am Krankenhaus. Meiner Erfahrung nach passieren
Fehler vor allem dann, wenn Ärzte übermüdet oder überarbeitet sind. So wollte
ich nicht arbeiten.«
    Thurner nickte. »Dein Vorgänger, der Mooslechner Adi, war einer vom alten
Schlag. Der hatte kein Privatleben, den haben die Patienten auch mitten in der
Nacht aus dem Bett geholt.«
    »Das macht mir nichts aus«, sagte ich. »Und was den fehlenden Facharzt
betrifft – ich finde, dass die fortschreitende Abschottung der Medizin in
Einzeldisziplinen sowieso nicht im Sinne der Patienten ist.«
    »Aha.« Hörte ich da einen Anflug von Ironie? Wir rumpelten über ein
Gitter, das die Kühe davon abhalten sollte, ihre Almwiesen zu verlassen. »Was
heißt das für schlichtere Gemüter?«
    »Wir verlassen uns doch immer mehr auf technisch ermittelte Werte statt
auf Untersuchungsverfahren. Aber der Mensch ist ein ganzheitliches Wesen.« Ich
dozierte wie mein Vater.
    Thurner warf mir einen Blick zu. »Oje«, sagte er. »Soll das heißen, wir
bekommen die erste Arztpraxis für ayurvedische Medizin? Und Qigong?« Er
schüttelte den Kopf. »Na, dann wünsch ich dir hier viel Spaß.«
    »Keine Sorge, ich bin eine überzeugte Schulmedizinerin.« Na prima, eine
Unterhaltung, und schon sah der hiesige Tierarzt eine alternativ angehauchte
Großstädterin in mir. Wahrscheinlich würde er seine Erkenntnis dem ganzen Dorf
mitteilen.
    »Dann wünsch ich dir erst recht viel Erfolg in Alpbach. Obwohl«, sagte
er, »durchsetzungsfähig bist du ja. Wie der Kaml Schorsch da am Abend mit dem
Fuchs bei mir aufgetaucht ist … Ich hab gedacht, jetzt ist der Steiner
völlig verrückt geworden. Normalerweise dreht der ‘nem Fuchs einfach den Hals
um.« Ich konnte das Lächeln in seiner Stimme hören. »Dem musst ja
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