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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut
Autoren: Ines Eberl
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Eindringling.
    »Was machen Sie denn hier?«
    Ich verschränkte die Arme und drückte den Rücken an die warmen
Holzschindeln. »Wonach sieht’s denn aus?«
    Sein Mund wurde schmallippig. »Nach Ruhestörung in meinem Revier«, sagte
er. »Danach sieht’s aus.«
    Das wurde ja immer schöner. »In Ihrem Revier?« Ich deutete zu dem
Steinadler hinunter, der noch immer seine Kreise über dem Tal zog. »Sie meinen
wohl in seinem Revier.«
    Der Mann schaute auf den Vogel. Als er sich mir wieder zuwandte, lag ein
widerwilliges Lächeln auf seinem Gesicht. »Na gut, is’ schon recht –
irgendwann wird man halt allergisch gegen die ganzen Touristenmassen.« Er kniff
die Lippen zusammen. »Also, wenn Sie nicht auch noch ein Mountainbike mithaben,
mit dem Sie hier durch die Natur gerast sind, das Wild beunruhigt und den Almboden
umgepflügt haben …«
    »Hab ich nicht.« Ich hob die Hand zum Schwur. »Heiliges Indianerehrenwort.
Und ich bin auch keine Touristin. Ich wohne in Alpbach.«
    »Ach ja?« Er zögerte, dann hielt mir seine Hand hin. »Viktor Thurner. Ich
bin in Alpbach der …«
    »Tierarzt«, sagte ich und ergriff seine Hand. »Emma Canisius, die neue
praktische Ärztin. Sie waren so freundlich, meinen Fuchs einzuschläfern.«
    »Ihren Fuchs? Ach so, genau, die Staupe.« Thurner schüttelte den Kopf.
»Der erste Fuchs in meiner Praxis.« Er drehte sich um zu dem toten Tier auf dem
Wiesenstück. »Jetzt muss ich aber die Gams aufbrechen. Ich hab sie vor fast
einer halben Stunde geschossen, und es ist schon verdammt heiß.«
    Dann hatte ich also doch einen Schuss gehört.
    Thurner holte eine blaue Plane und einen Wasserkanister von der
Ladefläche des Geländewagens. Ich folgte ihm zu dem kräftigen Körper der Gams.
Die Sonne malte Lichtkreise auf das fahlgelbe Fell und die schwarzen Läufe. Auf
dem Kopf verlief ein dunkelbraunes Band zwischen Stirn und Wangen. Gebogene
Hörner ragten zwischen weichen Ohren empor, und im Maul steckte ein Nadelzweig.
Der Blick der vorstehenden Augen war starr. Auf der Schulter zeichnete sich ein
stumpfer braunroter Fleck ab.
    Thurner faltete die blaue Plane auseinander und warf sie auf die rechte
Seite des Tieres. Er fasste die Hinterbeine der Gams und drehte sie mit einer
einzigen Bewegung auf den Rücken, stach mit der Spitze seines Messers in das
dichte Fell und schlitzte es bis zum Hals auf, ehe er mit einem zweiten Schnitt
die Bauchmuskulatur durchtrennte. Dann schob er vorsichtig Zeige- und
Mittelfinger in die Öffnung, hob die Bauchdecke an und führte mit der anderen
Hand das Messer zwischen den vorgeschobenen Fingern entlang bis zum Brustbein.
Die Bauchhöhle der Gams öffnete sich wie ein dunkelroter Mund, aus dem
stinkender Atem entwich. Thurner vollführte noch ein paar rasche Schnitte und
Griffe, dann warf er das blutige Messer weg, fasste mit beiden Händen in die
Bauchhöhle, hob die Eingeweide heraus, legte sie auf das blaue Plastik und
schlug die Plane darüber.
    »Fertig.« Er richtete sich auf und hielt mir seine blutbesudelten Hände
hin. »Wasser, bitte.«
    Ich schraubte den Deckel des Kanisters auf und goss ein wenig in seine
Handflächen. Wässriges Rosa färbte das Gras. Thurner nahm mir den Kanister ab
und spülte mit dem Restwasser die Bauchhöhle der Gams. Dann fasste er das
ausgeweidete Tier an Vorder- und Hinterläufen, trug es zum Pick-up und legte es
auf die Ladefläche. Ich hob die blaue Plane auf und schleppte sie hinterher.
Durch das Plastik konnte ich die Lebenswärme der Innereien spüren.
    »Legen Sie’s einfach daneben.« Thurner deutete auf die Ladefläche.
    Ich schob das steife Paket zwischen das tote Tier und einen alten
Leinenrucksack. Zwischen dem struppigen Fell und dem verblichenen Stoff wirkte
das grelle blaue Plastik künstlich.
    »Steigen S’ ein, ich nehm Sie mit hinunter.« Er riss die Fahrertür
auf. Über das Autodach hinweg setzte er hinzu: »Oder wollen Sie noch weiter
gehen?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Dafür reicht meine Ausrüstung heute nicht.« Ich
war froh, nicht noch zu Fuß ins Tal absteigen zu müssen, und kletterte auf den
Beifahrersitz.
    Thurner ließ den dröhnenden Dieselmotor an, und wir rumpelten im
Schritttempo die holperige Forststraße bergab. Die Luft im Inneren des Wagens
war stickig. Auf der Rückbank herrschte ein Chaos von Jagdjacken, Handschuhen,
kleinen Mineralwasserflaschen, einem Fernglas und Schachteln mit rot-weißem
Aufdruck. Quer darüber lag ein Bergstock mit Metallspitze, wie ich ihn
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