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Wie weiter?

Wie weiter?

Titel: Wie weiter?
Autoren: Gregor Gysi
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Wie weiter?
    P arteienforscher wollen herausgefunden haben, dass »der Wähler« nicht Wahl- oder Parteiprogramme, sondern »Nasen« wählt. Womit gesagt sein sollte, dass ein Kreuz hinterm Kandidaten oder der Kandidatin nicht wegen jenes Papiers gesetzt werde, das auf langen parteiinternen Sitzungen, in offenen oder geschlossenen Runden, kollektiv erstritten wurde, sondern weil er (oder sie) beim Wähler ankommt.
    »Ankommen« ist ein doppeldeutiger und darum missverständlicher Begriff. Die einen verstehen darunter, sich ans Wahlvolk ranschmeißen zu müssen, ihm zum Munde reden. Nach meiner Wahrnehmung funktioniert das kaum: Die meisten Menschen haben inzwischen ein feines Gespür, ob sich ein Politiker oder eine Politikerin opportunistisch verhält. Andere rechnen auf Zustimmung, indem sie Versprechungen machen, die sie im Falle ihres Wahlsieges nicht einlösen werden. Sie verhalten sich wie Immobilienmakler, die Parzellen auf dem Mars verhökern. Das Angebot klingt verlockend, doch es ist unrealistisch. Die Hoffnung, dass solche Versprechen auf die Zukunft hingenommen werden, gründet auf der partiellen Amnesie des Wahlvolks. Denn erinnerte es sich der vor vier Jahren abgegebenen Offerten, bemerkte es, dass kaum ein Wahlversprechen von damals eingelöst worden ist. Es gibt vielleicht Ausnahmen, aber kaum jemand holt Programme und Koalitionsverträge hervor, die Jahre zuvor geschlossen wurden. Anderenfalls würde der Zweifel an der Glaubwürdigkeit des neuen Angebots erheblich sein.
    Dieses Problem registriere ich nicht erst seit Beginn der schwarzgelben Regierungskoalition, deren Kanzlerin vier Monate vor der Bundestagswahl 2013 einen Katalog offerierte, der selbst in den eigenen Reihen umstritten ist. Aber nicht, weil man davon schon einmal vor vier Jahren gesprochen und nichts gehalten hatte, sondern weil die Kritiker auf fehlende Mittel verweisen.
    Das ist Despotenart: Geschenke versprechen für Zustimmung. Nüchtern betrachtet ist das Stimmenkauf ohne Rückgaberecht.
    Jetzt kommt der Einwurf: Doch, man kann sich ja bei der nächsten Wahl wehren.
    Kann man – sofern man inzwischen nicht vom Vergessen und der Einsicht in den berühmten Sachzwang heimgesucht wurde. Darauf werde ich im Weiteren noch einmal zurückkommen. Aber änderte sich dadurch etwas am Wesen der Wahlen?
    Im Kern haben die Beobachter und Analytiker des Politikbetriebes nämlich recht. Die »Menschen da draußen« haben erstens keinen Einfluss auf die Zusammenstellung der Kandidatenlisten der Parteien – das war und ist seit Jahrzehnten Tradition in allen Deutschländern. Die Wähler entscheiden zweitens auch nicht nach den Wahlprogrammen, die kaum jemand liest (nicht mal jene, die sie verfasst haben). Sie entscheiden aus traditioneller Zuneigung oder nach Bekanntheit und Popularität dieses oder jenes Bewerbers, aber auch politisch, jedoch nach anderen Kriterien als jene, die die Parteien wünschen.
    Das Wichtigste, so wollen es die Forscher herausbekommen haben, sind das Bauchgefühl, Instinkt, und eben die »Nasen«.
    Ich sehe das anders, ein wenig differenzierter. Aber scheinbar geht meine Partei auch davon aus, weshalb sie gleich deren acht für die Kernmannschaft im Bundestagswahlkampf 2013 nominierte. Damit will ich mich nicht von dieser Entscheidung distanzieren, ich habe sie schließlich mitgetragen. Man wollte verschiedene Generationen etc. zeigen. Trotzdem muss man wissen, dass man Personen, die bei der Wählerschaft »ankommen«, nicht einfach festlegen kann. Das fußt auf dem Irrglauben, dass das, was Parteien für richtig halten, auch von den Wählerinnen und Wählern als wichtig empfunden wird. Umgekehrt wird ein Schuh draus.
    Die Neigung, Bedeutung zu dekretieren, ist allen Parteien eigen. Dennoch macht die Vielzahl der plakatierten Köpfe noch keine »Nasenpartei«. Wie viele linke Politikerinnen und Politiker sind tatsächlich bundesweit bekannt und stehen allein mit ihrem Namen für eine politische Botschaft und damit stellvertretend für ein politisches Programm?
    In einer Talkshow fragte man mich nach jenen acht Namen und das gewiss nicht ohne hinterhältige Absicht, die auch prompt Wirkung zeigte. Überrascht und gänzlich unvorbereitet musste ich fast zwanzig Minuten grübeln, bis mir der achte Name einfiel. Womit der Moderator zeigen wollte: Der kennt nicht mal seine eigenen Leute. Aber zugleich machte er unbewusst auf das von mir weiter oben beschriebene Problem aufmerksam.
    Ich glaube nicht, dass, wie von manchem
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