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Jack McEvoy 01 - Der Poet

Jack McEvoy 01 - Der Poet

Titel: Jack McEvoy 01 - Der Poet
Autoren: Michael Connelly
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fanden aber nichts, was auch nur entfernt auf sein geheimes Leben hingedeutet hätte. Keine Andenken an seine Morde, keine Zeitungsausschnitte, nichts.
    Es wurden nur ein paar Kleinigkeiten bekannt, kleine Hinweise. Ein perfektionistischer Vater, der nicht mit der Rute gespart hatte. Eine obsessiv-zwanghafte Fixierung auf Ordnung und Sauberkeit - ich erinnerte mich an seinen Schreibtisch in Quantico. Eine Verlobung, die vor vielen Jahren gelöst worden war. Die Frau erzählte Brass Doran, dass Backus verlangt hatte, dass sie unmittelbar vor und nach dem Liebesakt unter die Dusche ging. Ein Freund von der High School meldete sich und berichtete Hazelton, dass Backus ihm einmal erzählt hatte, sein Vater hätte ihn, wenn er als Kind ins Bett genässt hatte, mit Handschellen an die Handtuchstange in der Dusche gefesselt - eine Geschichte, die von Robert senior bestritten wurde.
    Aber das waren nur Details, keine Antworten. Es waren Fragmente einer viel komplexeren Persönlichkeitsstruktur, über die sie nur Vermutungen anstellen konnten. Ich erinnerte mich an etwas, was Rachel einmal zu mir gesagt hatte. Es sei, als versuche man, einen zerbrochenen Spiegel wieder zusammenzusetzen. Jedes Bruchstück reflektiert einen Teil des Subjekts. Aber wenn sich das Subjekt bewegt, bewegt sich auch das Spiegelbild.
    Ich bin seit damals in Los Angeles geblieben. Ich habe meine Hand von einem Chirurgen in Beverly Hills operieren lassen, und jetzt schmerzt sie nur noch, wenn ich den ganzen Tag am Computer gesessen habe.
    Ich habe ein kleines Haus in den Bergen gemietet, und an klaren Tagen kann ich sehen, wie sich die Sonne im fünfzehn Meilen entfernten Pazifik spiegelt. An trüben Tagen ist die Aussicht deprimierend, und ich halte die Jalousien geschlossen. Nachts höre ich manchmal, wie die Kojoten im Nichols Canyon winseln und sich anbellen. Es ist warm hier, und nichts zieht mich nach Colorado zurück. Ich telefoniere regelmäßig mit meiner Mutter, meinem Vater und Riley - öfter als zu der Zeit, als ich noch in ihrer Nähe lebte aber ich fürchte die Gespenster dort immer noch mehr als die hiesigen.
    Offiziell bin ich von der Rocky beurlaubt. Greg Glenn möchte, dass ich zurückkomme, aber bisher habe ich eine definitive Antwort immer hinausgeschoben. Ich sitze am längeren Hebel. Ich bin jetzt ein Star-Journalist - ich bin in >Nightline< und >Larry King Live< aufgetreten -, und Greg möchte nicht auf mich verzichten. Also habe ich fürs Erste unbezahlten Urlaub und schreibe mein Buch.
    Mein Agent hat die Buch- und Filmrechte an meiner Story für mehr Geld verkauft, als ich bei der Rocky in zehn Jahren hätte verdienen können. Der größte Teil des Geldes wird, wenn ich es bekomme, in einen Treuhandfonds für Rileys ungeborenes Kind fließen. Seans Kind. Ich glaube nicht, dass ich mit so viel Geld auf meinem eigenen Bankkonto umgehen könnte, und außerdem habe ich das Gefühl, es nicht verdient zu haben. Es ist Blutgeld. Ich habe von der ersten Honorarrate des Verlages nur so viel zurückgelegt, dass ich mein Leben hier in L. A. bestreiten und vielleicht eine Reise nach Italien machen kann, sobald ich die erste Fassung fertig habe.
    Dort ist Rachel jetzt, hat Hazelton mir erzählt. Als man ihr sagte, dass sie aus der BSS-Abteilung entlassen und an einen Ort außerhalb von Quantico versetzt worden wäre, hat sie gleichfalls Urlaub genommen und ist nach Europa geflogen. Ich habe auf einen Anruf von ihr gewartet, aber sie hat sich nicht gemeldet. Ich glaube nicht, dass das jetzt noch passieren wird, und ich glaube auch nicht, dass ich nach Italien reisen werde, wie sie einmal vorgeschlagen hat. Das Gespenst, das mir nachts am heftigsten zusetzt, ist das Ding in mir, das mich dazu verleitet hat, genau das in Frage zu stellen, was ich mir am sehnlichsten wünschte.
53
    Tod ist mein Ressort. Ich habe von ihm gelebt und meinen beruflichen Ruhm mit seiner Hilfe geschmiedet. Ich habe von ihm profitiert. Er ist mir immer nahe gewesen, aber nie so nahe wie in den Augenblicken mit Gladden und Backus. Als er mir direkt ins Gesicht atmete, seine Augen auf mich richtete, nach mir griff.
    Vor allem an die Augen erinnere ich mich. Ich kann nicht schlafen, ohne zuerst an ihre Augen zu denken. Nicht an das, was in ihnen zu sehen war, sondern an das, was fehlte, was nicht da war. Hinter den Augen lag nur Dunkelheit. Eine leere Verzweiflung, so faszinierend, dass ich mich manchmal gegen das Einschlafen wehre, um darüber nachzudenken. Und wenn ich
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