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Geheimnis Um Mitternacht

Geheimnis Um Mitternacht

Titel: Geheimnis Um Mitternacht
Autoren: Candace Camp
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London, 1807
    Die Vordertür fiel mit einem Krachen ins Schloss. In der Bibliothek im oberen Geschoss drehte sich Lady Irene Wyngate überrascht um, und das Buch, das sie in der Hand hielt, fiel zu Boden.
    Es war schon weit nach Mitternacht, und alle im Haus außer ihr selbst schliefen bereits tief und fest. Tatsächlich war auch sie vor einer Stunde ins Bett gegangen. Aber weil sie nicht einschlafen konnte, war sie wieder aufgestanden, um in die Bibliothek zu huschen und ein Buch zum Lesen zu suchen. Eigentlich sollte niemand mehr auf sein - schon gar keiner, der die Tür ins Schloss warf.
    Während sie noch lauschend dastand, wurde die Stille der Nacht von einem weiteren Krachen unterbrochen, diesmal gefolgt von einem Fluch. Irene entspannte sich und verzog das Gesicht. Auch wenn ihr die Erkenntnis keine Freude bereitete, wusste sie nun wenigstens, wer den Lärm im unteren Geschoss verursachte. Ohne Zweifel war ihr Vater, Lord Wyngate, nach Hause gekommen und stolperte nun in seinem üblichen betrunkenen Zustand herum.
    Schnell beugte sie sich hinunter und hob das heruntergefallene Buch vom Boden auf. Dann nahm sie ihren Kerzenhalter und schlich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer. Auch wenn sie erst sechzehn Jahre alt war, war sie doch die Einzige, die sich ihrem tyrannischen Vater entgegenzustellen wagte. Schon häufig war sie dazwischengegangen, wenn er sich wieder gegen ihre Mutter oder ihren Bruder wandte, die Menschen, an denen er am häufigsten seine Wut ausließ. Aber Irene war nicht dumm. Wie alle anderen versuchte sie, ihrem Vater aus dem Weg zu gehen, vor allem, wenn er sturzbetrunken nach Hause kam.
    Leise eilte sie durch den Korridor und hoffte, dass sie es in den Schutz ihres Schlafzimmers schaffen würde, bevor ihr Vater in den ersten Stock hinaufkam. Von unten hörte sie eine wütende Stimme, laut und tief, gefolgt von der unverständlichen Antwort ihres Vaters. Irene blieb abrupt stehen. Sie runzelte die Stirn, während sie sich fragte, wer dort wohl mit ihrem Vater sprach. Dann hörte sie das laute Klatschen von Fleisch auf Fleisch und ein weiteres Krachen.
    Irene eilte zu der Brüstung am oberen Ende der Treppe und spähte hinab in die Eingangshalle. Ihre Sicht wurde vom unteren Teil der gewundenen Treppe behindert, aber sie konnte ihren Vater ausgestreckt auf dem Rücken liegen sehen, die zersplitterten Reste einer Vase um ihn herum auf dem Perserteppich verteilt. Die gepuderte Perücke, die er immer noch trug, auch wenn sie unterdessen aus der Mode gekommen war, hing schief auf einer Seite seines kahlen Schädels wie ein kleines pelziges Tierchen. Blut lief aus seiner Nase.
    Während Irene ihn noch fassungslos anstarrte, kam ein Mann in ihr Sichtfeld und ging mit langen Schritten zu Lord Wyngate hinüber. Der Fremde wandte ihr den Rücken zu, sodass sie nur sehen konnte, dass er groß war und wie ihr Vater einen schwarzen Abendanzug trug. Sein Haar trug er jedoch offen, da er auf eine altmodische Perücke verzichtet hatte.
    Während Irene gebannt dastand, packte der Fremde ihren Vater bei den Rockaufschlägen und zog ihn unsanft auf die Füße. Lord Wyngate legte beide Hände gegen die Brust des Mannes und stieß ihn weg, allerdings ohne große Wirkung.
    „Verdammter Grünschnabel", knurrte er mit undeutlicher Stimme. „Wie können Sie es wagen."
    „Ich wage noch verdammt viel mehr!", antwortete der andere Mann heftig und hob seine geballte Faust.
    Noch bevor der Schlag fiel, wirbelte Irene herum und lief in das Arbeitszimmer ihres Vaters. Sie eilte durch den Raum und öffnete eine der Glasvitrinen. Vorsichtig nahm sie einen Kasten von einem der Regale, stellte ihn auf den Schreibtisch und klappte ihn auf.
    Vor ihr lagen, gebettet auf roten Samt, ein Paar Duellpistolen. Sie wusste, dass ihr Vater sie immer fertig geladen aufbewahrte, aber sie überprüfte es sicherheitshalber noch einmal, bevor sie aus dem Zimmer eilte, in jeder Hand eine Pistole. Je näher sie der Treppe kam, desto lauter wurden die Geräusche. Sie konnte die Männer nicht mehr sehen - ihre Position hatte sich leicht verändert aber der Lärm ließ keinen Zweifel daran, dass der Kampf noch immer andauerte.
    Irene lief die Stufen bis zum ersten Absatz hinunter. Als sie um die Ecke kam, konnte sie sehen, dass die Männer miteinander rangen. In diesem Moment machte der Jüngere der beiden sich frei und rammte seine Flaust in Lord Wyngates Magen. Als ihr Vater sich zusammenkrümmte, ließ der andere Mann die Faust hart nach oben
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