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Irisches Tagebuch

Irisches Tagebuch

Titel: Irisches Tagebuch
Autoren: Heinrich Böll
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fütterten Enten, saßen im Sonnenschein, hörten zu, wie die Gewinnchancen für Purpurwolke standen; sie standen gut. Mittags um zwölf kamen viele Dubliner aus der Messe, verteilten sich in die Grafton Street. Unsere Hoffnung auf das Yes des Schalterbeamten blieb unerfüllt. Sein Sorry war immer trübseliger geworden, und fast — so schien es mir — hätte er eigenmächtig in die Kasse gegriffen und uns ein Darlehen des Postministers gegeben, seine Hände jedenfalls zuckten zur Schublade hin, seufzend nahm er sie auf die Marmortheke zurück.
    Zum Glück lud das Mädchen mit dem grünen Hut uns zum Tee ein, stiftete den Kindern Bonbons, stellte neue Kerzen auf, vor dem richtigen Heiligenbild: St. Antonius, und als wir noch einmal zur Post gingen, strahlte das Lächeln des Schalterbeamten uns durch die ganze Halle hindurch bis zum Eingang entgegen. Fröhlich leckte er sich die Finger, zählte die Scheine auf die Marmorplatte, triumphierend: eins, zwei, vielmal, in ganz kleinen Noten gab er uns das Geld, weil das Zählen ihm soviel Spaß machte, und silbern sangen die Münzen über den Marmor hin; das Mädchen mit dem grünen Hut lächelte: hatte sie nicht die Kerzen vor dem richtigen Heiligen aufgestellt?
    Der Abschied fiel schwer; die langen Reihen der dunkelblau gekleideten Mädchen, mit Hurlingschlägern in der Hand, hatten alles Drohende verloren, die Löwen brüllten nicht mehr, nur der Leguan warf uns mit seinen toten Augen immer noch seine uralte Häßlichkeit vor.
    Musikautomaten dröhnten, Schaffner kurbelten lange Papierwolken aus ihren Fahrscheinmühlen, Dampfer tuteten, leichter Wind kam von der See, viele, viele Fässer Bier wurden in dunkle Schiffbäuche gehievt, sogar die Denkmäler lächelten: die Dunkelheit des Traums war von Federkiel, Zügel, Leier und Schwert genommen, und nur alte Abendzeitungen waren es, die im Liffey dem Meer zuschwammen .
    In der neuen Abendzeitung waren drei Leserbriefe abgedruckt, die Nelsons Sturz forderten; siebenunddreißig Häuser wurden zum Verkauf angeboten, eins wurde gesucht, und in einem Nest in Kerry hatte, dank der Rührigkeit des örtlichen Festival-Komitees, ein wirkliches Festival stattgefunden: Wettbewerbe hatte es gegeben in Sacklaufen, Eselreiten, Rudern und im Langsamfahren für Fahrräder, und die Siegerin im Sacklaufen hatte dem Pressefotografen zugelächelt: sie zeigte uns ihr hübsches Gesicht und ihre schlechten Zähne.
    Die letzte Stunde verbrachten wir auf dem schrägen Fußboden des Pensionszimmers, spielten Karten wie auf einem Dach, Stühle und Tisch gab es im Zimmer nicht; zwischen Gepäckstücken sitzend, bei offenem Fenster, die Teetassen neben uns auf dem Boden, jagten wir Herz-Bube und Pik-As durch das lange Spalier ihrer Artgenossen, umbrandet vom heiteren Lärm der Dorset Street; während die Wirtin mit Flasche, Schwermut und Morgenrock im Hinterzimmer blieb, schaute das Zimmermädchen lächelnd unserem Spiel zu.
    »Das war einmal wieder ein netter Bursche«, sagte der Taxichauffeur, der uns zum Bahnhof fuhr, »ein reizender Kerl .«
    »Wer ?« fragte ich.
    »Dieser Tag«, sagte er, »war das nicht ein Prachtbürschchen ?«
    Ich stimmte ihm zu; während ich ihn bezahlte, blickte ich nach oben, die schwarze Front eines Hauses hinauf: eben stellte eine junge Frau einen orangefarbenen Milchtopf auf die Fensterbank hinaus. Sie lächelte mir zu, und ich lächelte zurück.

Dreizehn Jahre später
    Ein Essay von Heinrich Böll
    Dreizehn, ein Bäckerdutzend Jahre später, sind in Irland eineinhalb Jahrhunderte übersprungen und fünf weitere eingeholt worden, und es ist höchste Zeit für mich, mein Dossier über Irland abzuschließen, schwebende Pläne, noch einmal über Irland zu schreiben, weit in die Zukunft zu schieben, und die Notizen, die sich häufen, stillschweigend im Nähkörbchen verschwinden zu lassen; an einer der Notizen, die sich viermal vorfindet, kann ich gut feststellen, wie Irland sich verändert hat; es ist ein Zettel mit der Aufschrift: Die Hunde von Dukinella — es gibt einen Zettel dieses Titels aus dem Jahr 1958, drei weitere aus den Jahren 1960, 1963 und 1964, aber schon im Jahr 1965 brauchte ich diese Skizze nicht mehr niederzuschreiben, denn die Hunde von Dukinella tun nicht mehr, was sie bis 1964 einmal, oft mehrmals täglich getan haben, wenn ich mit dem Auto durchs Dorf an den Strand fuhr: sie laufen nicht mehr, gefährlich nahe an der Stoßstange, einander von Grundstück zu Grundstück ablösend, von Mauer zu
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